Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

610 Erſte Drdnung: Baumvögel; ahtundzwanzigſte Familie: Spechte.

Karminrot der Holle und das glänzende Gelb des Auges hat mix ſtets eine oder die andere jener fühnen und großartigen Schöpfungen des Pinſels dieſes unnahahmlihen Künſtlers vor mein geiſtiges Auge zurückgeführt, und meine Anſicht hat ſi ſo tief in mir befeſtigt, daß ih ſtets, ſo oft ih einen Elfenbeinſ<hnabel von einem Baume zum anderen fliegen ſah, zu mix ſagte: „Dort geht ein van Dy>.“

„Wohl möchte i< wünſchen, daß ih fähig wäre, die bevorzugten Aufenthaltsorte des Elfenbeinſchnabels zu beſchreiben. Jh wollte, daß ih zu ſchildern vermöchte die Ausdehnung jener tiefen Moräſte, überſchattet von Millionen rieſenhafter, dunkler Cypreſſen, die ihre ſtarren, moosbede>ten Zweige ausſtre>en, als ob ſie den ſi<h Nahenden mahnen woll: ten, ſtill zu halten und im voraus die Schwierigkeiten zu bedenken, die er zu überwinden haben wird, wenn er tiefer in die meiſt unnahbaren Heimlichkeiten eindringt jener Sümpfe, die ſi< meilenweit vor ihm ausdehnen, in welchen der Weg unterbrochen wird dur vorgeſtre>te rieſige Zweige, durch niedergebrohene Baumſtämme und Tauſende von kletternden und ſih verſchlingenden Pflanzen der verſchiedenſten Art; ih wollte, daß ih verſtändlich machen könnte die Natur dieſes gefährlichen Grundes: ſeine ſumpfige und ſ{<hlammige Beſchaffenheit, die Shönheit des verräteriſhen Teppichs, der aus den reiſten Mooſen, Schwertund Waſſerlilien zuſammengewebt iſt, aber, ſobald er den Dru> des Fußes erleidet, nah dem Leben des Abenteurers verlangt, und die hier und da ſich findenden Lichtungen, die gewöhnlih von einem See dunkeln, ſ{<hlammigen Waſſers ausgefüllt ſind; ih wollte, daß ih Worte fände, meinen Leſern einen Begriff zu geben von der [<hwülen, verpeſteten Luft, die, zumal in unſeren Hundstagen, den Eindringling faſt zu erſtiken droht: aber jeder Verſuch, das Bild dieſer großartigen und entſeßlihen Moräſte zu zeichnen, iſt ein verfehlter; nur eigne Anſchauung vermag ſie kennen zu lernen. Und ih will zurü>kehren zur Beſchreibung des berühmten Spechtes mit dem elfenbeinernen Schnabel.

„Der Flug dieſes Vogels iſt äußerſt anmutig, obgleich er ſelten mehr als auf wenige hundert Meter ausgedehnt wird, es ſei denn, daß der Herrenſpeht einen breiten Fluß zu überfliegen habe. Dann ſtreicht er in tiefen Wellenlinien dahin, indem er die Schwingen bald voll ausbreitet, bald wieder flatternd bewegt, um ſih von neuem weiter zu treiben. Der Übergang von einem Baume zum anderen, ſelbſt wenn die Entfernung mehrere hundert Meter betragen ſollte, wird vermöge eines einzigen Shwunges ausgeführt, während deſſen der von der höWhſten Spiße herabkommende Vogel eine zierlihe Bogenlinie beſchreibt. Jn dieſem Augenblicke entfaltet er die volle Schönheit ſeines Gefieders und erfüllt jeden Beſchauer mit Vergnügen. Niemals ſtößt er einen Laut aus, ſolange er fliegt, es ſei denn, daß die Zeit ſeine Liebe gekommen; ſobald er ſi aber an den Unterteil des Stammes angehängt hat, und während er zu den oberen Teilen emporſteigt, vernimmt man ſeine bemerkenswerte, klare, laute und angenehme Stimme und zwar auf beträchtliche Entfernung, ungefähr eine halbe engliſche Meile weit. Dieſe Stimme oder der Lockton, der durch die Silbe „pät* ausgedrü>t werden kann, wird gewöhnlich dreimal wiederholt; aber der Vogel läßt ſie ſo oft vernehmen, daß man ſagen kann, er ſchreit während des ganzen Tages und nux wenige Minuten niht. Leider begünſtigt ſol<he Eigenheit ſeine Verfolgung ungemein, und zu dieſer gibt die irrige Meinung, daß er ein Zerſtörer des Waldes ſei, nur zu viel Veranlaſſung. Dazu kommt, daß ſeine ſhönen Haubenfedern einen beliebten Kriegs\{<mu> der Sndianer bilden, und daß er deshalb auch von den Rothäuten eifrig verfolgt wird. Die Reiſenden aller Völker ſind erpiht auf dieſen Shmu> und kaufen von den Jägern zur Exinnerung die Köpfe des prächtigen Vogels. Jh traf Häuptlinge der Fndianer, deren ganzer Gürtel dicht mit den Schnäbeln und Hauben des Elfenbeinſhnabels bede>t war.

„Wie andere ſeiner Familie, lebt auch dieſer Specht gewöhnlich paarweiſe, und wahrſcheinlih währt ſeine Ehe die ganze Lebenszeit. Man ſieht beide Gatten ſtets zuſammen.