Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

634 Erſte Ordnung: Baumvögel; ahtundzwanzigſte Familie: Spechte.

am Olymp im Schnee gefunden. Auch Leſſona und Salvadori bemerken in ihrer trefflichen Uberſeßung der erſten Auflage des ,Tierlebens““, daß man in Mittel- und Süditalien niht allzu ſelten überwinternde Wendehälſe beobachte.

Bei uns zu Lande erſcheint der Wendehals erſt, wenn der Frühling vollſtändig eingezogen, und er verläßt uns bereits wieder, bevor no<h der Sommer vorübergegangen iſt. Bei günſtigem Frühlings8wetter triſt er {hon zwiſchen dem 10. und 15., gewöhnli<h aber erſt zwiſchen dem 20. und 80. April zuweilen auch ſelbſt in den erſten Tagen des Mai bei uns ein und verweilt dann bis Anfang Auguſt, ſelten länger, am Brutorte. Dann beginnt er zu ſtreichen, und wenn man ſpäter, bis in den September hinein, noch einzelne ſeiner Art zu ſehen bekommt, darf man annehmen, daß es ſolche ſind, welche im Norden brüteten und unſer Vaterland nur dur<wandern. Seine Reiſen werden des Nats ausgeführt, und zwar ſammeln ſih im Herbſte kleine Geſellſchaften, die den weiten Weg gemeinſchaftlih zurü>legen, während die rüc>kehrenden vereinzelt ziehen. Doch ſieht man au< im Frühlinge no< in Ägypten oder Spanien an beſonders günſtigen Pläßen mehrere dieſer ſonſt ungeſelligen Vögel beiſammen.

Zu ſeinem Wohngebiete wählt der Wendehals Gegenden , die reih an alten Bäumen, aber doh niht gänzlich bewaldet ſind. Feldgehölze, zuſammenhängende Gebüſche oder Obſtbaumpflanzungen bilden ſeine liebſten Wohnſiße. Er ſcheut den Menſchen nicht und ſiedelt ſih gern in unmittelbarer Nähe von Häuſern, z. B. in Gärten, an, falls hier nur einer der Bäume eine geeignete Höhlung beſitzt, die ihm zur Brutſtelle dienen kann. Fnnerhalb ſeines Gebietes macht er ſi<h wenigſtens im Frühlinge leiht bemerklih; denn ſeine Stimme iſt niht zu verkennen und fällt um ſo mehr auf, als das Weibchen dem rufenden Männchen regelmäßig zu antworten pflegt. Geht man dem oft 20mal nacheinander ausgeſtoßenen „Wii id wii id“ nah, ſo wird man den ſonderbaren Vogel bald bemerken. Er ſißt entweder auf den Zweigen eines Baumes, auh wohl am Stamme angeklammert oder auf dem Boden, hier wie dort ziemlih ruhig, obgleich keineswegs bewegungslos; denn ſobald er ſih beobachtet ſieht, bethätigt er zum mindeſten ſeinen Namen. Man kann nicht ſagen, daß er ſchwerfällig oder ungeſchi>t wäre: er iſt aber träge und bewegt ſih nur, wenn dies unumgänglich nötig wird. Von der Raſtloſigkeit und Hurtigkeit der Spechte oder anderer Klettervögel bekundet er nihts mehr. Seine Kletterfüße dienen ihm nur zum Anklammern, ſcheinen aber zum Steigen unbrauchbar zu ſein. Auf dem Boden hüpft er mit täppiſhen Sprüngen umher, und wenn er fliegt, wendet er ſih baldigſt wieder einem Baume zu. Aus der Höhe ſtürzt er ſih bis dicht über den Boden hernieder, fliegt hier mit raſh bewegten Flügeln eine Stre>e geradeaus und ſteigt dann in einem großen, flachen Bogen wieder aufwärts. Nur wenn er größere Stre>ken durhmeſſen muß, zieht er in einer ſanft wogenden Linie dahin.

Dagegen leiſtet er Erſtaunliches in Verrenkung ſeines Halſes, und dieſe Fähigkeit iſt es, die ihm faſt in allen Sprachen den gleihbedeutenden Namen verliehen hat. Fedes Ungewohnte bewegt ihn, Grimaſſen zu ſchneiden, und dieſe werden um ſo toller, je mehr der Vogel dur irgend eine Erſcheinung in Furcht verſet worden iſt. „Er dehnt den Hals oft lang aus“, ſagt Naumann, „ſträubt die Kopffedern zu einer Holle auf und breitet den Schwanz fächerförmig aus, alles unter wiederholten, langſamen Verbeugungen, oder er dehnt den ganzen Körper und beugt ſich, beſonders wenn ex böſe iſt, langſam vorwärts, verdreht die Augen und bewegt die Kehle wie ein Laubfroſch unter ſonderbarem. dumpfem Gurgeln. Jn der Angſt, z. B. wenn er gefangen iſt und man mit der Hand zugreifen will, macht er ſo ſonderbare Grimaſſen, daß ein Unkundiger darüber, wenn nicht erſchre>en, ſo doch erſtaunen muß. Mit aufgeſträubten Kopffedern und halb geſchloſſenen Augen dehnt er den Hals zu beſonderer Länge aus und dreht ihn wie eine Schlange ganz langſam, ſo daß der Kopf währenddem mehrmals im Kreiſe umgeht und der Schnabel dabei bald rü>wärts, bald