Der Gottesbegriff meister Eckharts : ein beitrag zur bestimmung der methode der Eskhartinterpretation
ist die Problemstellung und -lösung gegenüber der des Heiligen Thomas umgedreht worden. Es ist nicht mehr die Frage, wie die Mannigfaltigkeit des Seienden docdı irgendwie eins sein könne, was durch den Begriff der Ähnlichkeit und des „quodammodo“ scheingelöst wurde, sondern es wird nunmehr gefragt, wie über die Mannigfaltigkeit des Seienden einsinnige Aussagen möglich seien, und die Antwort darauf ist: durch eindeutig bestimmte Begriffe. So zeigt sich gerade an dem charakteristischen Beispiel von der Wahrheit Edkharts scharfe Abwendung von der thomistischen Auffassung: istud est totum una veritas, quia omne quod verum est, est verum in una veritate et non est etiam nisi una (RS ZA a. 22 in I, 225). Eckharts Rechtfertigung für diese von der kirchlichen Zensur beanstandete These von der Einzigkeit der Wahrheit lautet kategorisch: Dicendum quod totum est verum mit dem Verweis auf die unmittelbar damit zusammenhängende These von der Totalität der Wahrheit, womit Eckhart die thomistische „similitudo“, die Lehre von der bloß analogen Wahrheit in der Kreatur vernichtet. Die Einzigkeit der Bedeutung schließt in jedem einzelnen Fall auh die Totalität der Bedeutung und des Wesens ein: nihil est verum, quod non includat omnem veritatem (RS, ZA a. 9 in I, 215 — Pf. 90 : 297,52: Niht enist wärheit, ez habe in im alle wärheit bezlozzen”), denn, so verteidigt Eckhart diese Auffassung, media enim veritas non est veritas, und die bloße similitudo der analogen Glieder eines Wesensverhältnisses lehnt er ausdrücklich ab: simile est malum et deceptorium; semper citra veritatem est similitudo (RS. IV a. 14 in I, 184c u. Erwiderung: 204 a, 14).
Der positiven Bestimmung des Begriffsinhalts entspricht eine eben so scharfe Bestimmung seiner Grenzen durch die Definition des Konträrbegriffs. Die methodische Kraft des Satzes der Identität und des Widerspruchs als der abdicatio ist immanent überall wirksam in Eckharts Schriften. Das dürften schon die Titel eines großen Teils der Traktate im Opus propositionum vermuten lassen. Jeder Traktat handelt von einem Terminus und seinem Oppositum: esse, ens — nihil: unitas, unum — multum: veritas, verum — falsum; bonitas, bonum — malum: amor, caritas peccatum; honestum, virtus, reetum — turpe, vitium, obliguum; totum — pars; commune, indistinetum — proprium, distinetum; natura superioris — inferioris; ydea, ratio — informe, privatio:
°) Das ist zwar ein Augustinuszitat; aber daß es zensiert wurde, beweist, daß man es als für Eckhart charakteristisch empfand, was z. B. durch BgTr. 6ff. bestätigt wird.
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