Der Gottesbegriff meister Eckharts : ein beitrag zur bestimmung der methode der Eskhartinterpretation
Unum — Multa.
Die Umdeutung des Substanzbegriffs zum Strukturbegriff findet ihre schärfste Formulierung durch die Gleichordnung all der betrachteten Relationspaare mit dem mathematischen Beispiel des Verhältnisses von unum zum multum. Unum und multum sind Konträrbegriffe“) in der Art, wie es esse und nihil sind. Die Vielheit ist an sich ein Nichts”), die erst durch die Einheit im Sinn der monas zum Sein (Zahl) konstituiert wird. In ihrer Verknüpfung aber verhalten sich beide Begriffe wie das esse zum ens, das Begründende zum Begründeten”). Das unum ist in dieser Stellung als Grund aller Zählung nicht die bloße Eins, sondern die unitas, die monas und als solche fons et orTIigo omnium numerorum (IV 252,2ff). Sofern nun die Zahl durch die Zuordnung von Einheiten (aggregare) erzeugt wird, wird sie zum Sein konstituiert*). Diese Seinskonstituierung aus der monas wird bezeichnet durch den Terminus des descendere. Wir finden hier fast wörtlich die gleiche Formulierung wie bei der Betrachtung der Relation superior — inferior: das unum steigt in die Vielheit hinab: es wird selbst nicht geteilt, bleibt unberührt von ihr und gibt ihr seine Form der Einheit”).
Neben dieser bloßen Aggregation von Einheiten finden wir ein anderes Motiv zur Bestimmung des Zahlbegriffs, welches das Prinzip des Infinitesimalen anzudeuten scheint. Es ist verknüpft mit der Engellehre und läßt bei dem Mangel an weiteren Texten zunächst nur Vermutungen darüber zu: III 432 ff: Eckhart will den Dionysiustext interpretieren: multitudo angelorum excedit numerum omnium corporalium”). Thery verweist zum Vergleich auf die ähnliche Interpretation bei Thomas von Aquin S, Th. I. 112,4: numerus angelorum omnem materialem multitudinem excedit ... Dieser Zahlbegriff ist erklärt als numerus indefinitus, ad significandum excessum. Der logisch ungreifbare Aus-
druck des Excesses wird jedoch bei Eckhart ausdrücklich abge-
*) III 255: Unum et multum opponuntur.
*) IV 252,20: Esse semper stat in uno, multa enim ut multa non sunt.
») IV 252,20: ipsum unum numerum in esse constituit.
ib. z. 22: unum numerum et multitudinem in esse conservat.
) IV 252, 21 f.
°) TV 250,5: Unum se toto descendit in omnia que citra sunt que multa sunt, que numerata sunt, in quibus singulis ipsum unum non dividitur, sed manens unum incorruptum profundit omnem numerum et sua unitate informat. Adhuc ante quelibet duo et plura, necessario etinreetomniapprehensione prius caditunum.
ss) cf. Pf. 10:56,55: Pf. 29:105, 29.
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