Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

Napoleon's Streitmacht. 305

Daß eine ſolche Fortſetzung ſeiner Regierung, wo er, ſelbſt nah den größten Anſtrengungen und Erfolgen, immer kleiner als unter dem Konſulat dageſtanden hätte, ſeiner, als einer hiſtoriſchen Perſon, unwürdig “geweſen, und ſein Name mit einem geſ<wächten Glanz auf die Nahwelt gekommen wäre, überſah er. Denn ihm lag an der Macht noh mehr als an dem Ruhm. Daß aber außerdem eine, ſo zu ſagen, zweite geringere Auflage ſeines Daſeins, eine moraliſche Unmöglichkeit war, mochte ihm nicht einfallen. Der Drang zu herrſchen und der Gründer einer Dynaſtie zu werden, überbot bei ihm jede andere Rüſicht und Betrachtung.

Napoleon hatte ſeine Hauptmacht, mit der er dem Feinde entgegen gehen wollte, an der Nordgränze, zwiſchen Valenciennes, Maubeuge, Marienburg , Rocroy und Avesnes, verſammelt. Die fünf Jufanterie= und vier Kavalleriekorps derſelben ſtanden unter den Generalen Drouet d'Erlon, Neille, Vandamme, Gerard, Lobau, dem Marſchall Grouchy, zu dieſer Würde erſt nah dem 20, März, wegen ſeiner gegen den Herzog vou Augouleme im Süden geleiſteten Dienſte, erhoben, Pajol, Excelmans, Milhaud und Kellermann. Dieſes Heer war höchſtens 140,000 Mann ſtark mit 300 Kanonen, und die einzige Macht, mit der Napoleon im Felde erſcheinen konnte. Er hatte zwar 60,000 Rekruten auszuheben und 100,000 Nationalgarden auf den Kriegsfuß zu ſeen befohlen. Aber dieſe Rekruten waren noh nicht eingeübt , als der Krieg begann, und die mobiliſirten Nationalgarden erreichten nicht die verlangte Zahl, und wurden zur Beſezung der Feſtungen gebrauht. Der Süden und Weſten Frankreis, Napoleon meiſt feindlich geſinnt, leiſteten niht nur keine Hülfe gegen den auswärtigen Feind, ſondern mußten ſelbſt überwacht werden. Die damals in der Nation herrſchende Stimmung läßt ſi< am beſten daraus entnehmen, daß in einem ſo großen Lande wie Frankreih und unter einer ſonſt ſo kriegeriſchen Bevölkerung höchſtens 20,000 Freiwillige zu dem Heer geſtoßen waren, kaum ſo viel als 1792 ‘die einzige Stadt Paris und ihre Umgegend geliefert hatten. Ein eigentlicher Mangel an waſfenfähiger Mannſchaft, wie man oft behauptet hat, fand, ungeattet der großen, in Rußland und Deutſchland exlittenen Verluſte, nicht ſtatt. Aber das Volk erhob ſih niht von ſelbſt, und zur Benußung aller vor= handenen Mittel fehlte es an Zeit. Es lag eine trübe und gedrücte Stim= mung auf dieſer ſonſt ſo thatkräftigen und heiteren Bevölkerung , die ſich weder rect für no< ret gegen Napoleon zu erklären wußte, Alles dem aïftiven Heer überließ, und der endlihen Entſcheidung mit dumpfer Er= wartung entgegenſah.

Be>er, Weltgeſchichte. 8, Aufl. XVI. 20