Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

380 Neueſte Geſchichte. 2. Zeitraum.

immer, obglei< derſelbe wenig für ſeine Heimath gethan, für eine Lan= desangelegenheit gegolten. Auch gab es daſelbſt eine große Menge von Flüchtlingen , Generale, Officiere, Senatoren, Staatsräthe und andere hohe Beamte des Kaiſerreiches , die ſi<h na< der Abdankung Napoleon's, um von dem erſten Sturme der Reaktion nicht getroffen zu werden, nah dem abgelegenen Korſika zurückgezogen hatten. Murat ward von ihnen als ein Schi>ſals8genoſſe aufgenommen. Der Gouverneur befahl ihm, abzureiſen und ſchi>te ſi zu ſeiner Verhaftung an. Aber Murat verachtete dieſe Drohungen, begab ſi< in die höher liegenden Theile der Inſel, und ward als ein naher Verwandter des Kaiſers überall mit Liebe und Begeiſterung aufgenommen. Der Ruf ſeiner Tapferkeit, ſein Unglü>, ſein martialiſches Aeußere erwarben ihm zahlreiche Anhänger. Wo er durchzog, bewaffnete ſich das unerſchro>ene und gaſtfreie Volk für ihn und wachte über ſeine Sicherheit. Murat wälzte allerlei Pläne- in ſei= nem Kopfe, ohne ſich entſcheiden zu können. Eine Partei bot ihm ſogar die Herrſchaft über die Inſel an, was im erſten Augenbli> möglich, aber von geringer Dauer geweſen ſein würde. Noch ſtand ihm der Weg nah Trieſt ofen. Er hatte unterdeſſen bedeutende Geldſummen aus Frankrei bekommen. Murat, der nicht in die Fußtapfen des Königs Theodor treten und ſi< niht zum Herrn über Korſika machen wollte, von wo im ſ{<limmſten Falle die Flucht leicht geweſen wäre, faßte den verwegenen und unſeligen Entſchluß, ſein verlorenes Königreich Neapel wiederzugewinnen, und traf alsbald Anſtalten zu der Ausführung eines Planes, dex ihn einem unvermeidlichen Untergang ausſeßen mußte.

Die Mängel in Murat's Weſen traten in dieſem entſcheidenden Augenbli> ſeines Lebens, ſeine Vorzüge verdunkelnd, hervor. Die Natur hatte ihn zu einem aus8gezeihneten General, aber niht zu einem Souve= rain, und am wenigſten zum Gründer einer Dynaſtie beſtimmt. Es fehlte ihm an der Klarheit und Feſtigkeit des Geiſtes , die unter ſ<wierigen Umſtänden zu der Stellung eines oberſten und unumſ<hränkten Gebieters erforderlich iſ. Murat beſaß mehr Einbildungskraft als Ur= theil, war feiner tiefen Sammlung und Betrachtung fähig, und geneigt, ſich von augenbli>lihen Eindrücken zu plößlichen Entſchlüſſen fortreißen zu laſſen. Die erſten Stufen zu ſeiner ſpäteren Größe hatte er mit Hülfe ſeines militairiſhen Talents erſtiegen, das dazu hinreichend geweſen. Zu einer gewiſſen Bedeutung gekommen, fand er zu ſeinem Glück an Napoleon einen Kopf, der für ihn dachte, und eine Hand, die ihn leitete. Spä= ter übte ſeine Gemahlin einen großen Einfluß auf ihn aus. Murat war oft ein treſſliher Vollſtreder der Anordnungen eines Höheren ge-