Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

Lider sind, ich muß das Kontaktmoment der Lideinstellung durch andere Kontaktmomente ersetzen, z. B. durch schärfere Einstellung der Linse, präzisere Richtungseinstellung durch die Augenmuskeln; ich muß die Abdeckung in eine tiefere Schicht zurücknehmen. Die Augenlider werden willkürlich entspannt, und auch diese willkürliche Entspannung ist uns etwas Neues. Es wird durch geringere Spannung der beiden Antagonisten, der gegenwirkenden Muskeln (also hier des Lidmuskels und des Augendeckelhebers) dieselbe Einstellung erzielt wie bei größerer Spannung, nur werden in den kleinsten Teilen die Lider schlaffer sein, nicht straff gespannt, sondern gleichsam unsicher vibrierend; dadurch kommt etwas Unbestimmtes in die Lidhaltung, das, was wir Blinzeln nennen. Um so fester muß die Augapfeleinstellung tiefer innen sein; dadurch scheinen die Augen selbst tiefer zu liegen, und der Blick gewinnt oft etwas Gefährliches, Lauerndes und Unheimliches, Dadurch zieht sich auch die Aufmerksamkeit gleichsam aus der äußersten Schicht des Sehapparats, den Augenlidern, zurück; es ergibt sich eigentlich schon ein verhängter Zug. Wir sehen also, es gibt Übergänge von der abgedeckten zur verhängten Einstellung. Das ist zugleich ein Beispiel für Mehrschichtigkeit des Ausdrucks; man unterscheidet deutlich den oberflächlichen, verhängten Zug vom tiefer liegenden, abgedeckten.

In vielen Fällen kann die positive Abgedecktheit der Lider unterstützt werden durch herabgezogene Augenbrauen und senkrechte Stirnfalten (der Rachsüchtige XVI, 6). Nicht selten entstehen bei gewissen Graden der Abgedecktheit unsymmetrische Ausdrucksformen (s. später den Abschnitt darüber); dann liegt irgend eine Zweideutigkeit oder Zwiespältigkeit der Einstellung vor; im Humor (Busch XIV, 7) das ernste und das heitere Auge, in der Satire Offenbachs (VI, 5) die Zweideutigkeit der Ironie.

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