Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

flissentlich zugewendete Kopfhaltung und Blickrichtung und die einem Lächeln sich nähernden gehobenen Mundwinkel gegeben ist, scheint dieses Auf und Ab auf den Beschauer überzugehen und besonders den Hörer mitzuergreifen; der Meister reißt uns als sein eigener Interpret in Himmel und Hölle seiner Leidenschaften mit. Diese Bejahung der Leidenschaft durch ihre Suggestivübertragung, wodurch sie auch nach der künstlerischen Gestaltung noch keine Distanz im Empfänger zuläßt, macht das Wesen des Dämonischen aus; daher die unheimliche Wirkung, die den Reiz des so mit uns Spielenden noch unwiderstehlicher macht. In gigantischem Maßstab nichts anderes als was uns das Lächeln Chevaliers (XIV, 4) in einer harmloseren Sphäre zu sagen hatte. Ähnlich wird durch das Auf und Ab des Mundwinkels auf dem Antlitz des Goethe von Tischbein (II, 2) die dramatische Wirkung ins Dämonische verstärkt. Daß es eine senkrecht T-förmig angesetze Furche der zweiten, nicht eine der dritten Art ist, erhöht für den Moment noch die Aktivität des Dämonischen, verbürgt aber zugleich die Kräfte, des Dämons Herr zu werden. Goethe war eben im letzten Grunde kein Stimmungsmensch.

3. Gegenwirkungen gegen die Seitenspannungen der Mundwinkel

(Tabelle 15, 1.)

Ein Übermaß von Leidenschaft birgt seine Gefahren im Angriff ebenso wie in der Verstimmung. Beiden, dem Aktiven wie dem Gefühlsmenschen droht schließlich die Gefahr des Versinkens in Wahnsinn, jenem in Formen von Tobsucht, diesem in der Melancholie; und in extremen Fällen geht jene ins Verbrechen, diese in Selbstmord über. Beide also haben es notwendig, gegen ihre Natur anzukämpfen, d. h. aber in unsrer Sprache der Ausdrucksforschung, gegen das Übermaß der Seitenspannungen ihrer Mundwinkel,

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