Illustrierte Geſchichte des Weltkrieges 1914/15., str. 244

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Eine Schreibſtube im Schüßengraben.

blieb Kowno eine Bedrohung unſerer rehten Flanke und unſeres Rü>kens. Die Feſtung hielt eine ſtärkere deutſ<he Streitmacht gefeſſelt und betätigte ſih im übrigen dur< mehrfache Vorſtöße gegen das Gebiet der Dubiſſa, wo ſie bei Roſſieny unſere rü>wärtigen Verbindungen zu ſtören beabſihtigte. So nahte die Zeit, in der unſere Heeresleitung ſi<h genötigt ſah, ernſter, als es bisher möglih geweſen wax, gegen Kowno aufzutreten.

Um die Größe unſeres Sieges über Kowno rihtig beurteilen zu können, müſſen wir einen furzen Bli> auf die Beſchaffenheit der Feſtungsanlage werfen. Die Ruſſen haben an einer äußerſt günſtigen- Stelle dieſes Bollwerk am Njemen erbaut. Weſtlich ſind ihm ausgedehnte Forſten vorgelagert, die abſihtlih ohne brau<hbare Verbindungswege gelaſſen wurden. Das wegloſe Waldgelände iſt an vielen Stellen dur<h Sümpfe dem Verkehr völlig entzogen. Die ruſſiſ<he Art, ſtarke Feſtungen gegen den Feind zu hüben, nämlih dur ſtarke Feldvorſtellungen, war im Raume von Kowno in meiſterhafter Weiſe zum Ausdru> gebra<ht. Man hatte ſeitens dex ruſſiſhen Heeresleitung weder mit Geld no< mit Kräften geſpart und in monate=langer Arbeit alle Mittel dex Ingenieurkunſt aufgewandt. Die Geſamtanlage muß als ſtarke Gürtelfeſtung bezeihnet werden, die dur< lf" Außenwerke auf beiden Ufern des Njemen geſ<hühßt war. Wir finden in Kowno dieſelbe Art der: Befeſtigung, wie ſie Nowo-Georgiewsk beſaß und au< Breſt-Litowsk ſie auſzuweiſen hat. Grodno iſt dagegen eine ſ<hwächere Befeſtigung des Flußlaufes. :

Wie feſt der ruſſiſ<he Feind auf einen langen Widerſtand der Feſtung Kownto glaubte re<nen zu können, geht

Ein Krebseſſen im Schüßengraben,.

Illuſtrierte Geſchichte des Weltkrieges 1914/15.

aus einer Äußerung der franzöſiſhen Zeitung „Journal“ hervor, die ſi aus Petersburg no< am 17. Auguſt,

folgenden Saß telegraphieren ließ: „Der unbeſieglißhe Widerſtand der ruſſiſhen Feſtungen iſt der bezeihnendſte Zug des gegenwärtigen Kampfes. Die Deutſchen träumen ſeit Kriegsbeginn davon, ſih zu Herren der Njemenlinie zu machen. Aber ſolange Kowno ſih hält, iſt dieſer Traum eitel; und Kowno wird weder morgen no übermorgen genommen . werden.“ Ebenſo brahte am Tage der Eroberung Kownos die italieniſche Zeitung „Corriere della Serra“ „einen Drahtberiht aus London, in dem es heißt: „Die Deutſchen täuſchen ſi< darin, wenn ſie meinen, Kowno ſo ſhnell wie Lüttih und Namux nehmen zu können. Sie haben bisher no< feine Feſtung ge=nommen, die die Ruſſen verteidigen

: : wollten.“ Man exkennt, wie falſ< noh immer unſere Feinde die deutſhen Kräfte einſ<häßten.

Am 6. Auguſt begann der Angriff auf die Feſtung, und am 17. Auguſt war ſie gefallen. Allerdings ſind die Lei= ſtungen der Belagerungstruppe, die der Armee Eichhorn entnommen wurde, ganz bedeutende geweſen. Wie bei Lüttich, war auh bei Kowno ein ſchnelles, fkühnes Zugreifen der Jnfanterie zu bemerken. Jn dem \<wierigen Gelände der Wälder und Sümpfe ſicherte ſie den Beſiß von guten Beobachtungſtellen für die Artillerie. Schon am 8. Auguſt konnte dieſe ihr gewaltiges Feuer eröffnen, ſowohl gegen die vorgeſhobenen Stellungen, wie gegen die ſtän=digen Werke. Tag und Nacht arbeiteten ſih unterdeſſen Infanterie und Pioniere näher an die Werke heran. Feldvorſtellung na<h der anderen wurde erſtürmt. Sie waren ſehr ſtark ausgebaut. Der Bericht aus dem Großen Hauptquartier nennt jede dieſer Stellungen „eine Feſtung für ſi“. Am 15. Auguſt waren aht dieſer Werke in deutſher Hand. Die Ruſſen ließen es an Gegenangriffen, namentlich gegen die Südflanke des Angreifers, niht fehlen; auh befanden ſi<h noh innerhalb der Feſtung ſtarke Kräfte, mit denen gere<hnet werden mußte. Das deutſ<he Ar= tilleriefeuer war derart überwältigend, daß es ſhon am 16. Auguſt geſtattete, den Angriff bis an die permanente

Phot. A. Grohs, Berlin.

-Fortlinie vorzutragen. Nun begann der große Sturm, in

dem ſih die braven Truppen überall bewährten. Zunächſt fiel das Fort 2, ſodann wurde der Beſiß der Werke zwiſchen

dem Njemen und dem Fluß Jeſia erkämpft. Die Artillerie

wurde an den Njemenſtrom herangeführt und [<hühßte einen doppelten Brückenſchlag, dex der Jnfanterie geſtattete, weiteres Gelände zu gewinnen. Am 17. Auguſt machten auch die deutſchen Angriffstruppen im Norden dex Feſtung ganze Arbeit, und gleihzeitig mit den Nordforts fielen die öſtz lihen Werkeund die geſamteSüdſront. Die Beute, die in Kowno ge=wonnen wurde, war ſehr groß. Zu=nächſt gerieten 20000 Mann in Ge=fangenſhaft. Vor allen Dingen aber gewann der Sieger über 600 Ge[hüße, unter denen die ſ<werſten und beſten Kaliber neueſter Bauart ſih befanden. Wieder war die Munitionskraft Rußlands erhebli< geſhwächt geworden, denn große Maſſen von Munition mußten die Ruſſenin den Niederlagen zurüdlaſſen, und Millionenwerte an Proviant wurden gewonnen. Die Hauptſache aber war, daß dem Vordringen der Armee Eichhorn auf Wilna zu jetzt kein ernſtlihes Hindernis mehr în den Weg treten konnte, und daß dadurch der ruſſiſ<he Rü>zug auh no< über die Buglinie von Norden her \<hwer bedroht wurde. /

Phot, A, Grozs, Berlin.

alſo am Tage des Falles von Kowno,

Eine -