Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten, str. 258

die Wache Haſſan unangemeldet in das Miniſterconſeil treten ließ.

Vielleicht war aber au< Haſſan ein Werkzeug der Getreuen des Ex-Sultans, der alten fortgejagten Diener des Palaſtes, etwa ein Abgeſandter Fuſſuf Fzzed in's, des Sohnes Abdul Aziz’, oder er nahm Rache für die Soldaten, die ihre Löhnung niht erhalten konnten ? Man hatte geſehen, daß unter Umſtänden die Diener im Oriente kurzen Proceß mit dem Herrſher machten; dem Herrſcher koſtete es wohl no< weniger, die Diener hinwegzuräumen. Es würde alſo ganz den Gewohnheiten des Orients entſprochen haben, wenn Sultan Murad der Fünſte ſich Fener zu entledigen gedacht hätte, wel<he ihm zum Throne verholfen hatten und die, wenn unzufrieden, ihm dasſelbe Schicſal wie ſeinem Oheim bereiten konnten,

Dieſe mannigfahen Vermuthungen zeigten, in welher moraliſchen Zerrüttung ſi< der Orient befand und wie dort von jedem Werkthätigen das Schlimmſte vorausgeſeßt werden mußte.

Mit dem Miniſtermörder Haſſan iſ eine neue Sorte vor unſeren Augen aufgetaucht in dem bunten, ebenſo romantiſchen, wie bedenklih unheimlihen Völkergewimmel im Oriente, eine neue Art Menſchen, die auf den gebildeten Europäer ungefähr denſelben Eindru> macht, wie die Turcos, als ſie im deutſch-franzöſiſchen Kriege plößlih losgelaſſen wurden, um zum allgemeinen Erſtaunen Heeresdienſt zu leiſten in unſerer Zone, eine neue Sorte — die t\<erfeſſe: Schon ſeit Wochen hörte man Fammerruf über Fammerruf, aus Bulgarien vornehmlich, wo ſie ungehindert, im Gegentheile unter dem zuſtimmenden Beifall der türkiſchen Behörde ſchalteten und walteten, wie es ihnen gefiel, die tapferen Landsleute Haſſan's, der in Conſtantinopel mit wahrer Berſerkerwuth unter den Excellenzherren des Divans aufgeräumt.

Die Tſ\cherkeſſen kamen nah der Eroberung des Kaukaſus dur die Ruſſen und nahdem die lette tſherkeſſiſhe Bergveſte geſtürzt und Fürſt Schamyl in ruſſiſche Gefangenſchaft gerathen war, auf Einladung der Türkei nah dem osmaniſchen Weſten hinübergewandert. Es war kein guter Gedanke und jedenfalls eine ſ{<le<t angebrachte Großmuth von Seite der Türken. Wäre es nah dem Wunſche des wilden Bergvolkes gegangen, ſie wären wohl im Vereine mit verwandten Horden in den europäiſchen Bereich eingedrungen, wo ſie freili<h auf die ihnen von den civilifirten europäiſhen Völkern gebotenen Hinderniſſe geſtoßen wären, da den Europäern heutzutage jenes Angſtgefühl mangelt, welches ihren Vorfahren eigen war, wenn der Ruf ertönte: „Die Türken kommen!“ Es mochten dies die

Tſcherkeſſen re<t gut gewußt haben, denn ſie verblieben re<t beſcheidentli<h in Bulgarien und namentli< in der Dobrudſcha.

Leider brachten ſie jedo<h aus ihrer Heimat, den hohen, für unzugängli<h und für unüberwindlih gehaltenen Gebirgsketten des Kaukaſus, alle ihre Wildheit und ihre urſprünglichen Eigenthümlichkeiten mit. Ein Theil hat \ſi< niedergelaſſen und zu feſter Anſiedelung beguemt; ein anderer Theil zieht, mit Heerden und Zelten hirtenſebig, im Balkangebiet umher. Sie werden von der Pforte als zuverläſſige Freunde und Vertheidiger angeſehen, auf die immer ein Verlaß ift, wie vor einem halben Jahrhundert auf die Fanitſharen und wie ſpäter auf die BaſchiBozuks. Dieſe Bevorzugung iſ hauptſächlich Urſache, daß ſie ihren kriegeriſhen Neigungen und ihren beſtialiſ<hen Gewohnheiten feinen Zwang anthun. Das Fammergeſchrei über ihre Gräuelthaten widerhallte im ganzen Balkangebiete, unter Volks\tämmen, bei denen die Sicherung der Perſon und des Eigenthums niemals als oberſtes Geſe anerkannt wurde. Alle Reiſenden, welche mit den wilden Söhnen des Kaukaſus zuſammentrafen und Gelegenheit hatten, ihre Lebensweiſe zu beobachten, ſtimmen überein, daß ſie ein Auswurf der Menſchheit ſind.

Fn der Dobrudſcha, niht weit von Braila, liegt eine größere Gemeinde, welhe aus vier Dörfern beſteht, von denen eines von Tſcherfeſſen bewohnt iſt. Ein deutſcher Reiſender, welcher vor nicht langer Zeit dieſe Gegend beſuchte und ſih einige Tage dort aufhielt, liefert uns folgende Mittheilungen über die Tſ\cherkeſſen :

„Die Gemeinde Gretſchi beſteht aus vier geſonderten Dörfern, wovon das eine von Türken, das andere von Tſcherkeſſen, das dritte von Bulgaren und das vierte von Tartaren bewohnt iſt. Am meiſten geſittet davon ſind die Bulgaren, welche A>erbau treiben. Die Tartaren beſchäfligen ſi< mit Viehzucht; man ſieht große Schafund Ziegenheerden, welche ihnen angehören. Jhre Wohnungen ſind in die Erde gebaut. Es ſind ſanfte Leute, von denen man nichts zu fürchten hat, weil ſie wenig Bedürfniſſe haben ; ihre Kinder laſſen ſie z. B. faſt na>t herumlaufen. Die Türken ergeben ſi< dem Müſſiggang und verbringen ihre meiſte Zeit im Kaffechauſe.

Die ſ{<limmſte Sorte von Menſchen ſind aber die Tſ\cherkeſſen, die aus Rußland haben auswandern müſſen und die hier in der Dobrudſcha zum Schre>ken der Bevölkerung eine Zuflucht gefunden haben, Die Tſcherkeſſen find Räuber und Meuchelmörder; nur Mühlſteine und glühendes Eiſen laſſen ſie liegen. Sonſt ſind ſie mäßig, rauchen niht Tabak, trinken feinen Wein, begnügen ſi< mit tro>enem Mais als Nahrung, fleiden ſih aber mit einer gewiſſen Gefälligkeit in grüne Gewänder. JFhr Auge iſ unſtet und ſcheu;

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