Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten, str. 689
ſelbſt mochten die verbeſſerten Waffen, in welchen beide Kämpfenden ſi< glei< ſind, Unterſchiede herbeiführen, doh die Schwierigkeiten des Bodens und der Verpflegung blieben dieſelben. Ob in den Bergen Laziſtans, ob in den na>ten Feldgegenden des Ararat, nirgends iſt die Wegſamfeit au< nur um ein Haar beſſer geworden, als ſie vor Jahrhunderten war. Was in dieſer Richtung im FJntereſſe des Handels geſchehen, erſtre>te ſi< blos auf die große Verbindungsſtraße zwiſchen Tebris und Tiflis, wo Waaren paſſiren können, und auf die Steinſtraße von Trapezunt na<h Gömüſet-Chone, eine Straße, welche Tauſende von türkiſhen Pfund verſhlungen hat, ohne daß man ſie na< Erzerum führen fonnte. Die ruſſiſhe Armee mußte daher auf ihrem Marſche von Alexandropol, Achalzik ‘und Eriwan aus auf den gewohnten und bekannten Karawanenſtraßen ſi< bewegen. Wir ſagen „Straßen“, doch iſt zu bemerken, daß für dieſelben na< unſeren abendländiſhen Begriffen, ſelbſt die Benennung Wege zu viel wäre, denn unter „Straßen“ verſteht man in Kleinaſien, ſpeziell in Armenien, eine über Berg und Thal, über Felſen und Moräſte ſi< hinziehende Spur von Pſerde-, Kameel- und Maulthicrhufen. An Wege daher, auf wel<hen zwei- oder vierräderige Fahrzeuge, geſ<hweige denn Kanonen {weren Kalibers, Munitions-Karren ſi< bewegen können, iſt auh ni<t im mindeſten zu denken, und Ruſſen ſowohl als Türken mußten vorausſihtli< mit jener aſiatiſhen Schwerfälligkeit, mit Geduld und Ausdauer operiren, wie dies während der früheren fleinaſiatiſhen Feldzüge geſchah.
Die zweite bedeutende Schwierigkeit bot die Verpflegung. Es i} nämlich allbekannt, daß ein jeweilig größerer Transport von Tabak, Baumwolle und Seide aus Perſien, das heißt ein Zunehmen der Karawanenzüge dur<h Armenien regelmäßig daſelbſt die Preiſe der Lebensmittel erhöht, eine Erſcheinung, die ſih bei einem Durchzuge größerer Truppenkörper no< fühlbarer machen muß, denn erſtens iſ Armeniens Boden: arm, zweitens baut der Aſiate niht mehr, als er bedarf, und endli<h würden nur wenige Rechtgläubige ſi< dazu hergeben, den Ruſſen ſelb für theueres Geld Proviant zu liefern. Rußland konnte ſi<, beſonders was die Sympathien der Bevölkerung auf dem künftigen Kriegs\hauplaßze in Kleinaſien betrifft, keineswegs leihtblütigen Hoffnungen hingeben und von den Verhältniſſen der früheren Feldzüge durhaus niht auf die heute herrſhenden Geſinnungen ſchließen. Wenn z. B. während des leßten Krieges der Kurdenhäuptling Mehemed Bey aus Toprak-Kale troy ſeines ſunnitiſchen Religionsbekenntniſſes und troß ſeiner erheuchelten Freundſhaft für die Türken ſi< zu den Ruſſen {lug und für den ſ{hnöden Lohn von einigen tauſend
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Ducaten den Dienſt der Avantgarde übernahm, ſo durfte man deshalb niht glauben, daß alle Kurdenſtämme einer gleihen {nöden Handlung8weiſe fähig wären. Von dieſem von der Ebene Meſopotamiens bis zu den nördlihen Ausläufern des Ararat, der ganzen perſiſh-türkiſchen Grenze entlang wohnenden Volke iſ allerdings der um Bajazid herumwohnende Stamm der Haideraulu, wie auh die Kurden um Maku ruſſiſhen Einflüſterungen am meiſten zugänglich, da dieſe Leute auf dem Grenzgebiete dreier Nachbarſtaaten: der Türkei, Perſiens und Rußlands, bis jezt weder der Botmäßigkeit noh den politiſhen Lebensbedingungen des einen oder anderen Staates unterworfen werden konnten. Greift der Kurde eine Karawane auf ruſſiſchem Boden an, ſo wird er vor der Hand der Gerechtigfeit ſich auf türkiſhen oder perſiſchen Boden flüchten und ebenſo umgekehrt; mit einem Worte: dieſe friegsluſtigen, mehr nomadiſchen als anſäßigen Aſiaten — gute Räuber und ſ{<le<te Mohammedaner — ſind für die Reize des Rubels nicht blind.
Doch nux bis hierher und niht weiter kann Rußland mit Geld Freunde erkaufen. Die Kurden von Wan, Rovandiz und Suleimanie, bekannt dur< ihren wilden Fanatismus, ihre Raubluſt und ihren Hang zu Abenteuern, von wel letzterem ſie unter Leitung Bedr-Chan-Beys Europa ein ſo trauriges Beiſpiel gegeben haben, ſind allerdings ni<t voll der Sympathien für die türkiſche Herrſchaft, ja ſie wären bei guter Gelegenheit jeden Moment zum Auſfſtande bereit, wie damals, als Moltke den türkiſchen Feldzug gegen ſie mitmachte; doh erlaubt ihr moslemitiſher Fanati8mus keine Gemeinſamkeit mit Rußland und Perſien, ja ſie werden ſogar, wenn von der Türkei bewaffnet, in der Hoffnung auf reiche Beute und angeborner Raufluſt, der türkihen Armee von großem Nuten ſein und dieſelbe Rolle ſpielen wie die Tſcherkeſſen im jüngſten Kriege gegen Serbien. Die Ausſicht auf einen lei<hten Sieg war für Rußland nicht \ſo roſig.
Noh iſ einer Vermuthung Rechnung zu tragen, die bei einem Zuſammenſtoß zwiſchen der Türkei und Perſien in Kleinaſien, die armeniſche Bevölkerung als eine kräftige Stüße des criſtlihen Krieges auftreten läßt. Die beiläufig zweieinhalb Millionen Seelen zählenden. Armenier Kleinaſiens können in der fernen Zukunft, angeſihts der ruſſiſhen Angriffspolitik, für die Türkei ebenſoſehr bedrohli<h als für die Zerſtörung der mohammedaniſhen Macht ein wihtiges Werkzeug werden. Doch für den damaligen Augenbli> waren ſie es keinesfalls, und ſie dürften es au< niht ſo hald werden, ſelb wenn Rußland alle möglihen Mittel zu ihrer Aufſtahelung anwenden wollte. Der Armenier