Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 7.

0 Unſihtbare Hünda

Man ſah es Lucia an, daß ſie ſoeben erſt von ſ{<werer Krankheit geneſen war. Wie alle ſtark und energiſ<h ver= “anlagten Naturen, ſo hatte auch ſie anfangs den erſten — großen Schmerz über den Tod des vergötterten Vaters mit Faſſung zu ertragen gewußt; nun aber, da das Begräbniß und alle ſi< daran knüpfenden Formalitäten vorüber, da mit der eingetretenen äußeren Ruhe ſich die Gedanken über den erlittenen Verluſt mächtiger zu regen begannen, unterlag dex zarte Körper den Folgen der überſtandenen Gemüth8= bewegungen. Aufregung und Nervenerſchütterung zogen ein hißiges Fieber nah ſich, das Lucia über einen Monat lang an das Bett feſſelte.

Die Tochter des Obexſten hatte in dieſer Zeit eine vor= treffliche Pflegerin an Frau v. Sporken gefunden, die ſich freiwillig erxboten, die Stellung einer dame d'honneur bei dem verwaisten jungen Mädchen anzunehmen. Frau v. Sporken war eine Couſine des Generals v. Steinnis, die Wittwe eines bei Langenſalza gefallenen Oberſtlieute= nants der Jufanterie. Sechzig Lebensjahre volk mancherlei Sorgen und bitterer Erfahrungen hatten ihren Scheitel frühzeitig ſilbergrau gefärbt, waren aber niht im Stande geweſen, ihr die Harmloſigkeit eines faſt kindlichen Gemüthes und die fromme Demuth eines edlen und ſelbſtloſen Herz zens zu rauben. Frau v. Sporken gehörte zu jenen Menz fen, die nux Gutes zu ſchaffen vermögen, die aber troßdem niemals Anerkennung finden. Sti]l und ſchweigſam wandelte ſie thre eigenen Wege und fühlte ſih am glü>lichſten daun, wenn ſie unbeobachtet und unbeachtet bleiben konnte.

Lucia hatte Frau v. Sporxken, die zu Lebzeiten des