Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 4.

22 Der Talisman des Weibes.

Suſanne we>te ſie aus ihrem ſchwermuthsvollen Brüten. „Soll ih die Toilette für das Feſt im „Ruſſiſchen Hof! bereit legen, Fräulein ?“

Sie fuhr auf. „Jeßt? Nein, in dieſer Stimmung —“ Dann flüſterte ſie plöblih, des Mädchens Arm umſbannend: „Suſanne, wenn es no< eine Möglichkeit gäbe, mich an Freiberg zu rächen, dieſem Urheber aller meiner Leiden, dieſem blendenden Verräther — ach, Du weißt nicht, was er mix angethan! Gäbe es dieſe Möglichkeit, ich wollte die Hälfte meines Lebens opfern. Daß ich heute ſeinethalben ausgepfiffen bin, iſt nicht die größte Schmach, welche er mix zugefügt. Nein, glaube niht, daß ih ſentimental werde, Kind,“ fuhr fie milder fort, als Suſanne theil= nehmend ihre Hand küßte, „Frauen wie ih haben nicht das Recht zu klagen, und ih will an mix beweiſen, daß die Natur uns niht nux zum Lieben und Dulden \<huf, ſondern daß wir glüli<h ſein können ohne Herz! Einſt allerdings lag ih wunſ<hlos in den Armen eines Mannes, der —“ Sie richtete ſi<h mit Selbſtüberwindung empor. „Komm, kleide mich an! Das Schönſte lege mix zurecht ! Und wenn Du mich ſ{hwankend ſiehſt, ſage mix, daß ih eine Thörin ſei!“

22.

Tiefe Dämmerung herrſchte in Gaëtannina's Gemach. Die violetten Vorhänge an den Fenſtern und Thüren hingen ſ{hwer zu Boden und erxſti>kten jeden Laut der Außenwelt. Jn den ſeidenen Tapeten xauſchte zuweilen ein heimliches Kniſtern auf und exſtarb, bevor es ganz vernehmbar geworden; dann regte ſich nichts mehr. Auf