Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 4.

36 Dex Talisman des Weibes,

„Sein Vater!“ rief Jrmengard erſchüttert. Sie wußte plößlih, we8shalb die Antwort auf Freiberg's Brief nicht eingetroffen war, und daß in jedem Falle eine Verbin= dung zwiſchen ihnen unmöglih geweſen wäre. Die tiefe Wunde, welche ihrem Stolz bereits geſchlagen war, ſchmerzte bei dieſer Erfenntniß nahezu unerträglich, ſie biß ſi<h auf die Lippen, um dur< ein körperliches Leid die Seelenfolter zu betäuben. Jn Haß und Verachtung gegen Freiberg lachte ſie endlih hell auf, ſehr zur Befriedigung ihrer Verehrer, welche die Lebensweisheit einer ſo jungen Philoſophin nicht genug bewundern konnten.

„Das iſt der würdigſte Schluß dieſer intereſſanten Epiſode !“ rief ſie mit beißendem Selbſthohn. „Unter dem Mitgefühl der Menge fährt der Graf zum Thore hinaus, und i< —“ Das Wort exſtarb ihr im Munde. Auch ſie wax einſtmals einem beſſeren Glauben zum Troß zum Thore hinausgefahxren. Ach, Alles, was bis jebt auf ſie hereingeſtürmt, war nurx eine ſhwache Wiedervergeltung eigener Sünden geweſen. Jm goldſunkelnden Feſtſaal, inmitten dex Elite der Großſtadt überkam ſie die Erz innerung an jene Wintermorgenſtunde mit fo pad>ender Gewalt, daß ihr der Maiglöckchenſtrauß in den Händen zu zittern begann. Aus dem ſlrahlenden Kerzenlicht trat eine dunkle, einſl ſo geliebte Geſtalt vor ihr Geiſtezauge fragenden, zürnenden, zärtlichen Blies. Sie glaubte den Ton ſeiner Stimme zu hören: „Meine Frma!“ O Gott, es lag wie ein Bann auf ihrem Empfinden! Alles um ſie hex lachte, plauderte, und in thr riefen tauſend Stim= men den einen Namen: Hans Meiſchi>! Wo war er?