Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 7.
210 Etwas vom Munde.
ſchon im Zuſtande dex Ruhe, haben aber von allen Theilen des Mundes die Lippen, deren zart geſ<wungene Linien bei verſchiedenen Menſchen eine erſtaunliche Mannigfaltigz keit der Formen aufweiſen. Wie der bemerkenstwerthe Gegenſaß zwiſchen der oberen und unteren, der geiſtigen und der mehr ſinnli<h=zpraktiſchen Hälfte des Antlißbes ſi<h unverkennbar in dem Gegenſaß der Ober- und Unterlippe wiederholt, fſo kommt der Oberlippe vor der Unterlippe welch? leßtere mehr dem leiblichen Bedürfniſſe der Nah=z rung8aufnahme dient — offenbar die höhere geiſtige Bez deutung zu. Aus dieſem Grunde entſpricht die Anforde= rung an jede edlere menſ<hlihe Geſichtsbildung, daß gleichwie der Geiſt den Körper, die Vernunft die ſinnlichen Triebe — die beſeeltere Oberlippe die untere beherrſ>e und überrage, oder daß die Unterlippe die obere trage. Und fürwahr iſ dies Verhältniß fo unerſchütterlich bez gründet, daß kaum etwas den Gcſammtausdru> des Antlißes ſo verunedelt und verroht, wie eine Umkehrung deſſelben, wie ein augenfälliges Vorſtehen der Unterz lippe.
Aus demſelben Grunde darf für Geſichtsformen edlerev Art die ſo charakteriſtiſche Verbindung der Oberlippe mit der Naſe eine verhältnißmäßig nux kurze fein, weil durch die Kürze dieſes Raumes, mit der faſt ſtets eine feine Modellixung deſſelben Hand in Hand geht, gleichſam an=gedeutet wird, daß der Mund der geiſtigen Region näher gerüdt iſt. Jn der That findet ſih eine lange, in der Mitte etwa gar no< vorgewölbte oder affenartig auf getriebene Oberlippe meiſt nux bei grobdrähtigen Natuxen,