Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Eisbär: Verbreitung. Reiſen. Scharen. Bewegung. 249

im Sommer mehr nah Norden zu den bleibenden Cismaſſen zurü>, an deren Ränder das arktiſche Tierleben vorzug8weiſe gebunden iſ. Manchmal treten ſie zu Dußenden oder in noch viel zahlreicheren Scharen vereinigt auf. Scoresby berichtet, daß er einſtmals an der Küſte von Grönland wohl 100 Eisbären beiſammen traf, von denen 20 getötet werden fonnten. Als ein wirkliches Eisbärenreih iſt die unbewohnte Fnſel St. Matthäus im Beringmeere zu betrahten, die von ihnen förmlih wimmelt; Hunderte von ihnen hauſen hier ungeſtört und abgeſchloſſen von aller Welt. Auch nördlih von der Beringſtraße ſind ſie häufig und verſammeln ſich bei einem reihlichen Fraße man<hmal in größerer Anzahl. „Wir ſahen“, ſhreibt Pehuel-Loeſhe, „auf einem Eisfelde eine ungewöhnlich zahlreihe Värenverſammlung, die doh ſicherlih ihre beſondere Urſahe haben mußte. Dieſe blieb uns auh niht lange verborgen. Am Rande des Feldes lag angetrieben der aufgedunſene Leichnam eines Males, und die Bären hatten ſi< zu einem Schmauſe eingefunden. Es war ein luſtiges Bild, dieſe weißgekleideten Feſtteilnehmer, deren einige ſih bei der immerhin ſchwierigen Zerlegung des Fleiſhberges in greulicher Weiſe beſudelt hatten, ihr Strandreht ausüben zu ſehen. Über unſere Ankunft waren ſie ſehr ungehalten und ſchienen nicht übel Luſt zu haben, dem herannahenden Boote die Beute ſtreitig zu machen. Als aber der ſtattlichſte Burſche mit zerſhoſſenem Genie zuſammenbra< und ein zweiter ſ{hlimm verwundet war, nahmen ſie merkwürdig ſ{hnell Reißaus. Wie eine Meute grollender Wölfe umkreiſten ſie uns dann in ſicherer Entfernung, und untex allerhand ungeſchlachten Drohbewegungen warteten ſie auf unſeren Abzug.“

Die Bewegungen des Eisbären ſind im ganzen plump, aber ausdauernd im höchſten Grade. Dies zeigt ſi<h zumal beim Schwimmen, in welchem der Eisbär ſeine Meiſterſchaft an den Tag legt. Die Geſchwindigkeit, mit welcher er ſi< ſtundenlang gleihmäßig und ohne Beſhwerde im Waſſer bewegt, ſhäßt Scoresby auf 4—5 km in der Stunde. Die große Maſſe ſeines Fettes, falls er wirkli< wohlgenährt iſt, kommt ihm vortrefflich zu ſtatten, da ſie das Eigengewicht ſeines Leibes ſo ziemlih dem des Waſſers gleichſtellt. Daher vermag er auh tagelang unabſehbare Waſſerflächen zu dur<ſhwimmen und wird oft weit von Land und Eis im offenen Meere angetroffen. Nah Pechuel-Loeſches Beobachtungen begibt er ſi, ſolange er niht hart bedrängt wird, ſtets mit dem Hinterteile voran ins Waſſer und läßt ſich in ſehr komiſh ausſehender, faſt ängſtli<h behutſamer Weiſe hineingleiten. Ebenſo au8gezeichnet, wie er ſih auf der Oberfläche des Waſſers bewegt, verſteht er zu tauchen. Man hat beobachtet, daß er Lachſe aus der See geholt hat, und muß nah dieſem ſeine Tauchfähigkeit allerdings im höchſten Grade bewundern. Auch auf dem Lande iſt er keineswegs ſo unbehilflih und ungeſchi>t, wie es den Anſchein hat. Sein gewöhnlicher Gang iſt zwar langſam und bedächtig, wenn er aber in ſeinen ſcheinbar plumpen“ Paß oder Galopp verfällt, bewegt er ſi ſelbſt auf unebenem Eiſe oder Gelände mit überraſchender Geſhwindigkeit und weiß dabei mit großer Umſicht allenthalben die bequemſten Wege auszufinden: Dabei ſind ſeine Sinne ausnehmend ſcharf, beſonders das Geſicht und der Geruch. Wenn er über große Eisfelder geht, ſteigt er, nah Scoresby, auf die Eisblö>e und ſieht nah Beute umher. Tote Walfiſche oder ein in das Feuer geworfenes Stü Spe> wittert er auf unglaubliche Entfernungen.

Die Nahrung des Eisbären beſteht aus faſt allen Tieren, welche das Meer oder die armen Küſten ſeiner Heimat bieten. Seine furchtbare Stärke, welche die aller übrigen bärenartigen Raubtiere noh erheblich übertrifft, und die erwähnte Gewandtheit im Waſſer machen es ihm ziemlich leiht, ſi zu verſorgen. Seehunde verſchiedener Art bilden ſein bevorzugtes Jagdwild, und er iſt ſhlau und geſchi>t genug, dieſe klugen und behenden Tiere zu erlangen. Wenn er eine Robbe von ferne auf dem Troenen liegend erblidt, ſenkt er ſi ſtill und geräuſchlos ins Meer, ſhwimmt gegen den Wind ihr zu, nähert ſih ihr mit