Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Eisbär: Lebensweiſe. Fortpflanzung. Gefährlichkeit. Ubertreibungen. 251

begreifen das eine wie das andere bald, machen ſi die Sache aber ſo bequem wie mögli und ruhen z. B. au< no< dann, wenn ſie bereits ziemlih groß geworden ſind, bei Ermüdung behaglih auf dem Rüden ihrer Mutter aus.

Entde>er und Fangſchiffer haben uns rührende Geſchichten von der Aufopferung und Liebe der Eisbärenmutter mitgeteilt. „Eine Bärin“, erzählt Scoresby, „welche zwei Junge bei ſi hatte, wurde von einigen bewaffneten Matroſen auf einem Eisfelde verfolgt. Anfangs ſchien ſie die Jungen dadurch zu größerer Eile anzureizen, daß ſie voranlief und ſih immer umſah, auh dur< eigentümliche Gebärden und einen beſonderen, ängſtlichen Ton der Stimme die Gefahr ihnen mitzuteilen ſuchte; als ſie aber ſah, daß ihre Verfolger ihr zu nahe kamen, mühte ſie ſih, jene vorwärts zu treiben, zu ſchieben und zu ſtoßen, entfam auch wirkli glü>li< mit ihnen.“ Eine andere Bärin, welche von Kanes Leuten und deren Hunden aufgefunden wurde, {hob ihr Junges immer etwas weiter, indem ſie es mit dem Kopfe zwiſchen Hals und Bruſt klemmte oder von oben mit den Zähnen patte und fortſHleppte. Abwechſelnd hiermit trieb ſie die ſie verfolgenden Hunde zurü>. Als ſie erlegt worden war, trat das Junge auf ihre Leiche und kämpfte gegen die Hunde, bis es, dur einen Schuß in den Kopf getroffen, von ſeinem Standpunkte herabfiel und nah furzem Todeskampfe verendete. Berichte aus neuerer Zeit beſtätigen dieſe Beobachtungen; anders aber ſteht es mit der Wildheit und Furhtbarkeit, die man früher dem Eisbären als hervorragende Cigenſchaften zuerkannt hat.

tan erzählt ſi< viele Unglüsfälle, wel<he durch ihn herbeigeſührt worden ſind, und gar mancher Walfänger ſoll die Tollkühnheit, einen Eisbären bekämpfen zu wollen, mit ſeinem Leben bezahlt haben. „Wenn man den Bären im Waſſer antrifft“, ſagt Scoresby, „ann man ihn gewöhnlich mit Vorteil angreifen; wenn er aber am Ufer oder auf beſhneitem oder glattem Eiſe, wo er mit ſeinen breiten Taten noc einmal Èo | <nell fortzufkommen vermag als ein Menſch, ſi befindet, kann er ſelten mit Sicherheit oder gutem Erfolge bekämpft werden. Bei weitem die meiſten Unglücksfälle wurden durch die Unvorſichtigkeit ſolcher Angriffe herbeigeführt. Ein trauriger Vorfall ereignete ſi< mit einem Matroſen eines Schiffes, welches in der Davisſtraße vom Eiſe eingeſ<loſſen war. Wahrſcheinlich dur< den Geruh der Lebensmittel angelo>t, kam ein dreiſter Bär endlich bis dicht an das Schiff heran. Die Leute waren gerade mit ihrer Mahlzeit beſchäftigt, und ſelbſt die De>wachen nahmen daran teil. Da bemerkte ein verwegener Burſche zufällig den Bären, bewaffnete ſi raſh mit einer Stange und ſprang in der Abſicht auf das Eis hinaus, die Ehre davonzutragen, einen ſo übermütigen Gaſt zu demütigen. Aber der Bär achtete wenig auf das elende Gewehr, pate, wohl dur< Hunger gereizt, ſeinen Gegner ſofort mit den furchtbaren Zähnen im Rücken und trug ihn mit ſolcher Schnelligkeit davon, daß Raubtier und Matroſe ſhon weit entfernt waren, ehe die Gefährten des Unglücklichen ihm zu Hilfe fommen fonnten.“ Ein andermal rettete ſich ein Seemann, der einen Vären mit der Lanze angreifen wollte, aber ſhließlih den Mut verlor, vor dem ihm nachſeßenden Bären dadur, daß er nah und nah Lanze, Handſchuhe und Hut hinwarf, deren genaue Unterſuchung den Verfolger immer wieder ſo lange aufhielt, daß der Seemann mittlerweile ſeine Gefährten erreichen fonnte.

Derartige Erzählungen von wirklihen Unglücksfällen und mancherlei weniger ernſthaften Abenteuern enthalten häufig Reiſeberichte aus älterer, ſelten aber ſolche aus neuerer Zeit. Um die teilweiſe re<ht ſ{hroffen Widerſprüche zu erklären, hat man die Wahl, anzunehmen, daß damals die Gefährlichkeit des Eisbären re<ht ſehr überſhäßt worden iſt, oder daß er ſeitdem, vielleicht infolge einer beſſeren Bekanntſchaft mit dem Menſchen, ſein grimmiges Weſen bedeutend geändert hat. Jedenfalls iſt die Vorſtellung, die man, mit Vernahläſſigung ſeines ſonſtigen Weſens, von ſeiner Gefährlichkeit dur allzu eifrige