Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

22 Vierte Ordnung: Raubtiéère; fünfte Familie: Hunde.

ſi<h an der Seesfer Höhe in Oſtpreußen (bei Goldap) ein ſehr ſtarkes Rudel Wölfe umher. Jm ganzen Südoſten Öſterreichs, zumal Ungarns und den dazu gehörigen ſlawiſchen Ländern, muß man allwinterlih mehr oder minder großartige Jagden veranſtalten und ſonſtige Vertilgungsmittel anwenden, um den Wölfen zu ſteuern, hat aber in waldigen, dünn bevölkerten Gegenden bis heutigestags noch herzlih wenig auszurihten vermo<ht. Die Anzahl der Wölfe, welche jährlih in Rußland erlegt und von den Behörden ausgelöſt werden, iſt niht genau bekannt, jedenfalls aber ſehr erhebli, ebenſo in Shweden und Norwegen. Jn dieſen drei nördlichen Reichen gelten die Wölfe als die hauptſächlihſten Störer der öffentlihen Ruhe und Sicherheit und ſtiften alljährlih großen Schaden.

Der Wolf bewohnt ſowohl hoch als tief gelegene, einſame, ſtille Gegenden und Wildniſſe, namentlih dichte, düſtere Wälder, Brüche mit moraſtigen und tro>enen Stellen und im Süden die Steppen. Er hauſt ſelbſt in niht allzu großen Buſchdi>kichten, auf Kaupen in Brüchen und Sümpfen, in Rohrwäldern, Maisfeldern, in Spanien ſogar in Getreidefeldern, oft in großer Nähe der Ortſchaften. Dieſe meidet er überhaupt viel weniger, als man gewöhnlih annimmt, hütet ſi< nur, ſolange der Hunger ihm irgendwie es geſtattet, ſich ſehr bemerkli< zu machen. Wenn er niht dur das Fortpflanzungsgeſchäft gebunden wird, hält er ſih ſelten längere Zeit an einem und demſelben Orte auf, ſ{hweift vielmehr weit umher, verläßt eine Gegend tage- und wochenlang und kehrt dann wieder nah dem früheren Aufenthaltsorte zurü>, um ihn von neuem abzujagen. Jn dicht bevölkerten Gegenden zeigt er ſih nur ausnahmsweiſe vor Einbruch der Dämmerung, in einſamen Wäldern dagegen wird er, wie der Futs unter ähnlihen Umſtänden, ſchon in den Nachmittagsſtunden rege, ſHhleicht und lungert umher und ſieht, ob nichts für ſeinen ewig bellenden Magen abfalle. Während des Frühjahrs und Sommers lebt er einzeln, zu zweien, zu dreien, im Herbſte in Familien, im Winter in mehr oder minder zahlreichen Meuten, je nachdem die Gegend ein Zuſammenſcharen größerer Rudel begünſtigt oder niht. Trifft man ihn zu zweien an, ſo hat man es in der Regel, im Frühjahre faſt ausnahmslos mit einem Paare zu thun; bei größeren Trupps pflegen männliche Wölfe zu überwiegen.

Einmal geſchart, treibt er alle Tagesgeſchäfte gemeinſchaftlich, unterſtüßt ſeine Mitwölfe und ruft dieſe nötigen Falls dur Geheul herbei. Geſellſchaftlich treibt er ſein Umherſchweifen ebenſogut, als wenn er einzeln lebt, folgt Gebirgszügen, wandert über Ebenen, durchreiſt, von einem Walde zum anderen ſih wendend, ganze Provinzen und tritt deshalb urplößlih in Gegenden auf, in denen man ihn längere Zeit, vielleicht Fahre nacheinander, niht beobachtet hatte. Erwieſenermaßen durhmißt er bei ſeinen Fagd- und Wanderzügen Stre>ken von 40—70 km in einer einzigen Nacht. Nicht ſelten, im Winter bei tiefem Schnee ziemlich regelmäßig, bilden Wolfsgeſellſchaften lange Rotten, indem die einzelnen Tiere, wie die Fndianer auf ihrem Kriegspfade, diht hintereinander herlaufen und, wie es von den Luchſen bekannt, möglichſt in dieſelbe Spur treten, ſo daß es ſelbſt für den Kundigen {wer wird, zu erkennen, aus wie vielen Stü>en eine Meute beſteht. Gegen Morgen bietet irgend ein dichter Waldesteil der wandernden Näubergeſellſhaft Zuflucht; in der nächſten Nacht geht es weiter, bisweilen auh wieder zurü>. Gegen das Frühjahr hin, nah der Ranzzeit, vereinzeln ſich die Rudel, und die trähtige Wölfin ſuht, nah beſtimmten Verſicherungen glaubwürdiger Jäger, meiſt in Geſellſchaft eines Wolfes, ihren früheren oder einen ähnMee Standort wieder auf, um zu wölfen und ihre Fungen zu erziehen.

Die Beweglichkeit des Wolfes hat großen Aufwand von Kraft, raſchen Stoffwechſel und unverhältnismäßig bedeutenden Nahrungsverbrau< zur Vorbedingung; der gefährliche Näuber fügt daher allerorten, wo ex auftritt, dem ihm erreihbaren Getiere empfindliche Verluſte zu. Sein Lieblingswild bilden Haus- und größere Jagdtiere, behaarte wie befiederte; doh begnügt er ſi< auh mit den kleinſten, frißt ſelbſt Kerbtiere und verſhmäht ebenſo verſchiedene