Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Vicuña: Fortpflanzung. Herdenleben. Jagd. Zähmbarkeit. 167

werden die Stö>te, je 12—15 Schritt voneinander, in die Erde geſte>t und dur< Bindfaden in der Höhe von 80 cm miteinander verbunden. Auf dieſe Weiſe wird ein kreisförmiger Raum von einer halben Stunde Umfang abgeſte>t, indem auf einer Seite ein Eingang von ein paax hundert Schritt Breite offen gelaſſen wird. Die Weiber hängen an die Shnur des Umkreiſes bunte Lappen, welche vom Winde hin und her geweht werden. Sobald alles fertig iſt, zerſtreuen ſih die Männer, von denen ein Teil beritten iſt, und treiben von vielen Meilen in der Runde alle Rudel von Vicuñfias durch den Eingang in den Kreis. Wenn eine gehörige Anzahl verſammelt iſt, wird dieſer geſchloſſen. Die ſcheuen Tiere wagen nicht, über den Faden mit den flatternden Feßen zu ſpringen, und werden leicht mit den Bolas erlegt. Dieſe, aus drei an langen Schnüren befeſtigten Kugeln beſtehend, werden vom Werfc- um den Kopf gewirbelt, mit großer Sicherheit nah dem erwählten Wilde geſ<leudert und ſchlingen ſi< um die Beine, ſo daß jede Bewegung gehemmt iſt und das Opfer ſtürzt. Die ſo gefangenen Vicuïias werden abgeſhlachtet und das Fleiſh unter die Anweſenden gleichmäßig verteilt. Die Felle hingegen gehören der Kirche.

„Jm Jahre 1827 erließ Bolivar ein Geſet, dem zufolge die gefangenen Vicuñas nicht getötet, ſondern nur geſchoren werden ſollten. Das Geſet blieb aber niht in Kraft; denn das Scheren dieſer Tiere wurde dur ihre Wildheit faſt unmöglich gemacht. Zur Zeit der Inkas wurden die Jagden in viel großartigerem Maßſtabe ausgeführt: ſie verſammelten jährli<h bis 30,000 Fndianer, welche aus einem Umkreiſe von 20 Meilen alles Wild in einen ungeheuern, auf vorbenannte Weiſe umzäunten Plat treiben mußten. Bei dem ſih immer enger ſ<ließenden Kreiſe wurden die Reihen der Jndianer zuleßt verdoppelt und vervielfa<ht, ſo daß kein Tier entfliehen konnte. Die ſchädlichen, wie die Bären, Kuguare und Füchſe, wurden alle getötet, von den Hirſchen, Rehen, Vicuñas und Huanacos aber nur eine beſtimmte Anzahl. Es ſollen oft bis gegen 40,000 Tiere zuſammengetrieben worden ſein. Wenn Huanacos in die jeßigen Umlappungen kommen, ſo durchbrechen ſie die Schnur oder ſegen darüber weg; dann folgen ihnen auh die Vicuñas. Es wird daher beim Treiben wohl acht darauf gegeben, feine der erſteren mitzujagen. Sobald alle Vicuñas in der Umzäunung getötet ſind, wird die Jagd anderswo fortgeſeßt; ſie dauert eine Woche. Die Anzahl der in dieſer Zeit getöteten Tiere beträgt oft nur 50, oft aber au< mehrere Hundert. J< nahm während 5 Tagen an einer ſolchen Jagd teil; es wurden 122 Vicufias gefangen und aus dem Erlöſe der Felle ein neuer Altar in der Kirche gebaut.

„Fung eingefangene Vicuñas laſſen ſih leiht zähmen und benehmen ſih ſehr zutraulich, indem ſie ſi< an ihre Pfleger mit Liebe anſchließen und ihnen, wie wohlgezogene Haustiere, auf Schritt und Tritt nachlaufen; mit zunehmendem Alter aber werden ſie, wie alle ihre Verwandten, tü>iſh und dur<h das ewige Speien unerträglih. Ein Pfarrer hat ein Pärchen Vicuñas mit vieler Mühe großgezogen und ſie 4 Fahre lang bei einander behalten, ohne daß ſie ſi begattet hätten. Das Weibchen entfloh im fünften Fahre ſeiner Gefangenſhaft mit einem Halsbande und einem Stüc Leine, an welches es gebunden war. Es ſuchte ſih an ein Rudel wilder Vicuñas anzuſchließen, wurde aber von dieſen immer wieder durh Beißen und Stoßen weggetrieben und mußte ſo allein auf den Hochebenen umherirren. Wir haben es monatelang nachher öfter auf unſeren Streifzügen getroffen: es entfloh aber ſtets bei unſerer Annäherung. Das Männchen war das größte Tier ſeiner Art, welches wir je geſehen haben; ſeine Stärke entſprach ſeiner Größe. Wenn ſih ihm jemand zu ſehr näherte, richtete es ſi< auf den Hinterbeinen ſenkre<ht auf und ſ{<lug mit einem Schlage der Vorderbeine den ſtärkſten Mann zur Erde nieder. Es zeigte durchaus feine Anhänglichkeit gegen ſeinen Wärter, obgleich dieſer es während mehr als 5 Fahren gepflegt hatte.“

Schon zu Acoſtas Zeiten ſchoren die Fndianer auch die Vicuñas und verfertigten aus der Wolle De>en von ſehr hohem Werte, welche das Ausſehen weißſeidenen Stoffes hatten