Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

172 Elfte Ordnung: Paarzeher; dritte Familie: Horntiere.

geiſtigen Fähigkeiten ſtehen, wie ſhon angedeutet, auf ziemlih hoher Stuſe; man muß ſie als kluge, gewe>te Tiere bezeihnen. Das Gedächtnis iſt zwar niht beſonders gut; aber Erfahrung wigßigt ſie doh bald in hohem Grade, ſo daß ſie mit vieler Shlauheit und Liſt drohenden Gefahren zu begegnen wiſſen. Manche Arten muß man launenhaft nennen, andere ſind förmlih boshaft und tü>iſh. Die Anzahl ihrer Fungen ſ<wankt zwiſchen 1 und 4; alle wild lebenden Arten gebären höchſtens deren 2, die gezähmten nur in ſehr ſeltenen Fällen 4. Die Zi>lein kommen ausgebildet und mit offenen Augen zur Welt und ſind ſchon nah wenigen Minuten im ſtande, der Alten zu folgen. Wild lebende Arten laufen am erſten Tage ihres Lebens ebenſo kühn und ſicher auf den Gebirgen umher wie ihre Eltern.

Man darf wohl ſagen, daß alle Ziegen vorwiegend nügliche Tiere ſind. Der Schade, welchen ſie anrichten, kommt nur in wenigen Ländern in Betracht, ihr Nußen iſt dagegen ſehr bedeutend, namentli< in ſol<hen Gegenden, wo man die Tiere gebraut, um Örtlichfeiten auszunugen, deren Gaben ſonſt ganz verloren gehen würden. Die öden Gebirge des Südens unſeres Erdteils ſind förmlich bede>t mit Ziegenherden, welche au< an ſolchen Wänden das Gras abweiden, wo keines Menſchen Fuß Halt gewinnen könnte. Von den wilden Arten kann man faſt alles benußen, Fleiſ< und Fell, Horn und Haar, und die zahmen Ziegen ſind nicht bloß der Armen liebſter Freund, ſondern im Süden auc die beinahe aus\chließlihen Milcherzeuger.

Die Unterſcheidung der Wildziegen iſt außerordentlih ſ{<hwer, weil die Arten ſi ſehr ähneln und der Beobachtung ihres Lebens viele Hinderniſſe entgegentreten. So viel ſcheint feſtzuſtehen, daß der Verbreitungskreis der einzelnen ein verhältnismäßig beſchränkter iſt, und daß ſomit faſt jedes größere Gebirge, welches Mitglieder unſerer Familie beherbergt, auch ſeine eigenen Arten beſizt. Dieſe Arten laſſen ſi in drei verſchiedene Untergattungen ordnen, welche wir Steinbö>e, Ziegen und Halbziegen nennen. Noch können wir niht ſagen, inwieweit ſich das Leben der verſchiedenen Arten unterſcheidet; denn bis jeßt ſind wir bloß im ſtande, das Treiben von einzelnen in allgemeinen Umriſſen zu zeihnen: {webt doch ſelbſt über der Herkunft der Hausziegen ein bis jezt noh keineswegs aufgehelltes Dunkel!

Die Steinbö>e, nah Auffaſſung einzelner Forſcher eine beſondere Untergattung (Ibex) bildend, bewohnen die Gebirge und auf ihnen Höhen, woſelbſt andere große Säugetiere verkümmern würden. Nur wenige Wiederkäuer folgen ihnen in die Hochgefilde, auf benen ſie ſih jahraus jahrein umhertreiben, höchſtens während des eiſigen Winters in etwas tiefer gelegene Gelände herabſteigend. Mit dieſer Lebensweiſe geht Hand in Hand, daß jede Steinbo>art nurx eine geringe Verbreitung hat. Einzelne Naturforſcher nahmen zwar nicht nur für Europa, ſondern überhaupt bloß eine einzige Art an; wir ziehen es einſtweilen vor, die verſchiedenen Formen als Arten anzuſehen. Wenn wir dies thun, haben wir in den Steinböken eine an Arten reiche Untergattung vor uns. Europa allein zählt drei verſchiedene Steinbo>arten: eine (Capra ibex) bewohnt die Alpen, die zweite (Capra pyrenaica) die Pyrenäen und andere ſpaniſche Gebirge, die dritte (Capra caucasïca) den Kaukaſus. Außerdem findet ſih ein vierter Steinbo> (Capra sibirica) in Sibirien, ein fünfter (Capra beden) in Arabien, ein ſechſter (Capra walie) in Abeſſinien, ein ſiebenter (Capra skyn) auf dem Himalaja. Alle dieſe Tiere ſind einander ſehr ähnlich in Geſtalt und Färbung und unterſcheiden ſih hauptſächlich dur< das Gehörn und den Bart am Kinne. Zur Zeit beſißen wir noh feineswegs Stoff genug, um über die Frage, ob hier überall Artverſchiedenheiten zu Grunde liegen oder niht, mit der notwendigen Sicherheit entſcheiden zu önnen. Unſere Muſeen ſind bis jezt noch durchaus nicht ſolche Vorratskammern zu den Arbeiten eines Naturforſchers, wie ex ſie braucht; denn die beſten Muſeen zeigen höchſtens 1 oder 2 Stü>e von Steinböden,