Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3, page 286

25A Elfte Ordnung: Paarzeher; dritte Familie: Horntiere.

Alle Rinder erſcheinen zwar plump und langſam, ſind aber doch im ſtande, ſih raſ< zu bewegen, und bekunden viel mehr Fertigkeiten, als man ihnen zutrauen möchte. Fhre gewöhnliche Bewegung iſt ein langſamer Schritt; allein ſie traben au< ſ{<nell dahin und fallen zuweilen in einen höchſt unbeholfenen Galopp, welcher ſie ſehr raſ< fördert. Die Arten, welche Gebirge bewohnen, klettern meiſterhaft, alle ſhwimmen leiht und gut, und einzelne ſeßen ohne Bedenken über die breiteſten Ströme. Jhre Kraft iſt außerordentli<, ihre Ausdauer bewunderungswert. Unter den Sinnen ſteht der Geru<h obenan; das Gehör iſt ebenfalls gut, das Geſicht niht beſonders entwi>elt. Die geiſtigen Fähigkeiten ſind gering; do<h bekunden die wilden weit mehr Verſtand als die zahmen, welche ihre GeiſtesÉräfte niht anzuſtrengen brauchen. Fhr Weſen iſt verſchiedenartig. Jm allgemeinen ſanft und zutraulih gegen Geſchöpfe, welche ihnen niht geſährlih oder beſ<werlih werden, zeigen ſie ſi<h au< überaus wild, troßig und in hohem Grade mutig; gereizt, greifen ſie unter Todesverahtung alle Raubtiere, ſelbſt die ſtärkſten, an und wiſſen ihre furhtbaren Waffen mit ſo viel Geſchi> zu gebrauchen, daß ſie oftmals Sieger bleiben. Unter ſih im ganzen verträglich, kämpfen ſie doh zu gewiſſen Zeiten, namentlih während der Paarungszeit, mit entſchiedener Raufluſt. Die Stimme beſteht in hellerem oder dumpferem Gebrüll oder in einem Grunzen und Brummen, welches hauptſächli<h gehört wird, wenn ſie erregt ſind.

Sehr verſchiedene Pflanzenſtoffe bilden die Nahrung der Rinder. Sie verzehren Laub und zarte Knoſpen, Triebe und Zweige der allerverſchiedenſten Bäume, Gräſer und Kräuter, Baumrinde, Moos und Flechten, Sumpf- und Waſſerpflanzen, ſelbſt ſharfſ{hneidiges Riedgras und rohrähnlihe Gewächſe. Jn der Gefangenſchaft nähren ſie ſih von allen möglichen Pflanzenſtoffen. Salz iſ für alle ein Leckerbiſſen, Waſſer ihnen Bedürfnis; manche wälzen fi mit Luſt in ſ<hlammigen Lachen oder legen ſi< ſtundenlang in Flüſſe und Teiche.

Der Begattung gehen gewaltige Kämpfe unter den Stieren voraus; 9—12 Monate ſpäter wirft die Kuh ein einziges Junges, ſehr ſelten deren zwei. Das Kalb iſt immer voll: fommen ausgebildet und nah kürzeſter Zeit im ſtande, der Mutter zu folgen. Dieſe behandelt es mit warmer Zärtlichkeit, ſäugt und reinigt, bele>t und liebkoſt es und verteidigt es bei Gefahr mit tollkühnem Mute gegen jeden Angriff; ſpäter treten bei manchen Rinderarten die Stiere als Beſchüßer der Jungen auf.

Sämtliche Rinderarten laſſen ſi< zähmen und geben ſih ſodann mehr oder weniger willig dem Menſchen hin, lernen ihre Pfleger kennen und lieben, folgen deren Nufe und gehorchen ſelbſt einem ſhwachen Kinde, ziehen jedoch ihren Herrn eigentlich anderen Menſchen nicht vox, ſondern behandeln, wenn ſie einmal gezähmt worden ſind, alle Leute mit der gleihen Freundlichkeit.

Die Jagd der wilden Rinder gehört zu den gefährlichen; namentlich ein gereizter Stier, deſſen blinde Wut keine Grenzen mehr kennt, iſt ein ſehr bedrohliher Gegner. Gerade deshalb aber betreibt man ſolche Jagd mit größter Leidenſchaft, und manche Völker ſehen ſie als die rühmli<hſte von allen an.

Gegen den Nugen, wel<hen die zahmen Rinder leiſten, verſchwindet der geringe Schade, den die wildlebenden anrihten, faſt gänzlich. Dieſe werden höchſtens dur das Befreſſen der Bäume und Sträucher in den Wäldern, durh das Zerſtören des GraS3wuchſes und dur Verheerungen, die ſie in Pflanzungen ausüben, dem Menſchen läſtig; die gezähmten dagegen nüßen ihm mit ihren ſämtlichen Kräften, durch ihr Fleiſch und ihre Knohen, ihre Haut und ihr Gehörn, ihre Milch, ſelbſt dur< ihr Haar und ihren Miſt.

Auch die Jagd der wilb lebenden Rinder liefert einen niht unerheblichen Ertrag, da niht allein die Haut benußt wird, ſondern auth das Fleiſh, ungeachtet des ihm vielfach anhaftenden Moſchusgeruches, eine vorzügliche Speiſe gibt.

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