Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Kolibris: Gefangenleben. 697

wäre, das ſo großen Einfluß auf ſie ausübe. Viele von denen, die noh lebend in das Haus tamen, lagen doh ſhon im Sterben, und von denen, die glü>li<h in das Zimmer gebracht wurden, ſtarben die meiſten in den erſten 24 Stunden, gewöhnlih weil ſie die Leinen, auf welchen ihre bereits eingewöhnten Gefährten ſaßen, niht beahteten, ſondern gegen die Wände flogen. Hier erhielten ſie ſih flatternd lange Zeit; dann ſanken ſie langſam niederwärts, die Schwingen bewegend, entſchieden kraftlos bis ſie auf etwas auffielen. Wenn dies der Boden war, erhoben ſie ſi< wieder, aber nur, um von neuem gegen die Wände zu fliegen. Oft geſchah es, daß ſie hinter den verſchiedenen Kaſten und Büchſen niederfielen, die im Zimmer ſtanden; dann hatten ſie niht mehr Raum genug, um ſi zu erheben und icarben unbeachtet. Dies war das Geſchi> von vielen, ſo daß von 25 nur 7 \ſih eingewöhnten. Sie freili<h waren bald ganz zu Hauſe.

„Zh muß hier bemerken, daß ihr Weſen ſehr verſchieden war. Einige zeigten ſi< mürriſ<, verdrießlih und troßig, andere ſehr furhtſam, andere wieder vom erſten Augenblide an lieben38würdig, fromm, zahm und zutraulich.

„Mein gewöhnliches Verfahren, um ſie an den Raum und an das Zu>ergefäß zu gewöhnen, war ſehr einfah. Wenn das Körbchen, in welchem man die Neulinge mix brachte, geöffnet wurde, flogen ſie aus und gewöhnli<h gegen die Decke, ſeltener gegen die Fenſter. Nach einem Weilchen \{<hwebten ſie in der angegebenen Weiſe an den Wänden, ab und zu dieſe mit der Spite ihres Schnabels oder mit der Bruſt berührend. Bei ſcharfer Beobachtung fonnte man wahrnehmen, wenn ſie erſhöpft waren und zu ſinken begannen. Dunn ließen ſie es ſih in der Regel gefallen, daß man ſie aufnahm und auf den Finger ſeßte. Hatte ih ſie hier, ſo nahm i< ein wenig Zu>er in den Mund und brachte ihre Schnäbel zwiſchen meine Lippen. Zuweilen begannen ſie ſofort zu ſaugen, manchmal war es notwendig, ſie wiederholt dazu einzuladen; do< lernten ſie es ſ{hließlih regelmäßig, und wenn einer von ihnen einmal aus meinem Munde genommen hatte, war er zu ſpäterem Saugen immer bereit. Nach dieſer erſten Lehre ſette ih den Gefangenen vorſichtig auf eine der Leinen, und wenn das Weſen des Vogels ſanft war, blieb ex hier auh ſizen. Später reichte ih ihm anſtatt meiner Lippen ein Glas mit Sirup, und hatte er von dieſem ein- oder zweimal gele>t, ſo fand er es au< auf, wenn es auf dem Tiſche ſtand, und nunmehr konnte ih ihn als gezähmt anſehen. Seine Zeit wurde jeßt geteilt zwiſchen kurzen Flügen im Zimmer und zeitweiligen Ruhepauſen auf der Leine. Dabei kam es oft vor, daß zwei einander im Fluge verfolgten. Es ſchien mir, als ob dieſe Begegnungen freundſchaftlicher Art ſeien. Nach genauerer Beobachtung wurde ih überzeugt, daß dieſes beſtändige Abfliegen von der Leine nur den Zwe> hatte, kleine, dem menſchlichen Auge unſichtbare Kerbtiere zu fangen. Sehr häufig hörte ih das Schnappen mit dem Schnabel, und ein- oder zweimal ſah ih auch, wie eine Fliege gefangen wurde, die für die Sehkraft des menſchlichen Auges eben no< groß genug war. Gewöhnlich waren dieſe Ausflüge ſehr kurz. Der Vogel durchmaß höchſtens einen halben oder vollen Meter Entfernung und kehrte dann nah ſeinem Site zurü>, ganz wie es die ehten Fliegenfänger thun; denn Fliegenfänger, und zwar ſehr vollkommene, ſind auh die Kolibris. Einer niedrigen Shäßung nach darf ih annehmen, daß jeder mit wenig Unterbrehung in der Zeit vom frühen Morgen bis zum Abend wenigſtens drei Kerbtiere in der Minute fing. Fn der Freiheit werden ſie wahrſcheinlich nicht ſo viel Beute auf dieſe Weiſe erwerben, weil ſie hier hauptſächlih den kleinen Kerfen nachſtreben, die das Jnnere der Blumen bewohnen; aber auch hier ſieht man ſie beſtändig in der angegebenen Weiſe ausfliegen. Meine Gefangenen flogen gelegentlih auch gegen die Wände und nahmen Fliegen aus den Spinnengeweben.

„„Eigentümlih war die Art und Weiſe ihres Herabkommens, wenn ſie trinken wollten. Anſtatt nämlich auf das Gefäß loszufliegen, führten ſie unabänderlih 12—20 Schraubengänge