Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

T54 Erſte Ordnung: Baumvögel; vierunddreißigſte Familie: Mäuſevögel.

Teil gewählt, welcher die dichteſten Gebüſche beſißt. Wer nicht ſelbſt die Pflanzenwelt der Gleicherländer aus eigner Anſchauung kennen lernte, mag ſi<h ſ{<hwerli< einen Begriff machen von derartigen Bäumen oder Gebüſchen, wie jene Vögel ſie bedürfen. Ein ohnehin dihtwipfeliger Baum oder Buſch, der in weitaus den meiſten Fällen dornig iſt, wird derart mit Schmaroßzerpflanzen überde>t, umſponnen und durWflochten, daß man von dem eigentlichen Baume vielleiht nur hier und da einen dur<bre<henden Aſt gewahren kann. Das Nes, das dieſe Schlingpflanzen bilden, iſ ſo dicht, daß es niht bloß für den Menſchen und andere Säugetiere undurchdringlih iſt, ſondern daß man ſi< niht einmal mit dem Jagdmeſſer eine Öffnung aushauen kann, daß der Vogel, der auf ſolchem Buſche ſich niederläßt, vor jedem Feinde, jelbſ vor dem Geſchoſſe des Jägers geſ<hügßt iſt, weil dieſer den getöteten niht aufnehmen fönnte, au<h wenn er ſi<h alle nur denkbare Mühe gäbe. Auf weite Stre>en hin {ließen die Rankengewächſe einen Teil des Waldes vollſtändig dem zudringlichen Fuße ab und laſſen hierdur< Dickichte entſtehen, deren Jnneres für immer Geheimnis bleibt. Solche Waldesteile ſind es, welche die abſonderlihen Geſellen bewohnen, die dichteſten von den Gebüſchen, in welchen ſie ſi< umhertreiben. Kein anderer Vogel iſt im ſtande, da einzudringen, wo der Mäuſevogel noh luſtig dur<ſ{<lüpft oder, richtiger, durchkrieht; denn au< in ſeinem Betragen erinnert der ſonderbare Geſell an das Säugetier, das ihm ſeinen Namen leihen mußte. Wie dieſes zwängt er ſih dur die ſhmalſten Öffnungen, wie dieſes drängt er ſich dur< Verzweigungen, die ihm gerade ſo viel Raum laſſen, daß er ſeinen Leib eben durhpreſſen kann. Ein Flug erſcheint an der einen Wand eines ſolchen Buſhes, hängt ſich einen Augenbli> hier feſt, findet in dem nächſten eine Öffnung und iſt im Nu verſhwunden. Fſſtt man ſo glü>li<, den Buſh umgehen zu können, ſo gewahrt man, daß nach einiger Zeit an der entgegengeſeßten Wand ein Kopf, nah dem Kopfe der Leib und endlich der ganze Vogel zum Vorſchein kommt. Ein Schreien wird laut, alle Köpfe zeigen ſih, und plößlih ſhwirrt der ganze Shwarm geradeaus einem zweiten Buſche zu, um hier in derſelben Weiſe zu verſhwinden. Wie die Vögel es angeſtellt haben, das Jnnere des Buſhes zu durchdringen, bleibt dem Beobachter ein Rätſel: es gehört eben ihre ganze Mäuſefertigkeit dazu. Der Flug ſelbſt iſt wechſelweiſe ein Shwirren und ein Schweben mit weit ausgebreiteten Flügeln und etwas gebreitetem Schwanze, der wie eine Schleppe nahſ<hleift. Levaillant vergleicht den Shwarm überaus treffend mit dahinfliegenden Pfeilen: ſo, genau ſo, wie ein dur die Luft ſhwirrender Pfeil, ſieht der Mäuſevogel aus. Zu größeren Höhen ſteigen die fliegenden Mäuſevögel niemals empor, und ebenſowenig kommen ſie auf den Boden herab. Während des Fliegens ſchreit die ganze Bande gemeinſchaftlih auf, jeder einzelne läßt einen ſ{hrillenden Laut vernehmen, der wie „fire kirr“ oder „tri tri“ klingt; aber. alle ſchreien zuſammen, und ſo vereinigen ſich die Töne zu einem mit Worten niht wiederzugebenden Geſchwirre.

Levaillant erzählt, daß die Mäuſevögel ſih beim Schlafen ÜAumpenweiſe an die Zweige hängen, den Leib nah unten gekehrt, ein Vogel an dem anderen, ſo wie ſih bei ſ<wärmenden Bienen eine an die andere anſeßt. Jh habe dies nie geſehen; Verreaur aber behauptet, beobachtet zu haben, daß ſi<h ein Vogel mit einem Beine aufhängt, ein zweiter an den erſten, ein dritter an das noh ſreie Bein des zweiten anklammert und fo fort, ſo daß mitunter Ketten von 6—7 Stück an einem Aſte herabhängen, beſtätigt alſo Levaillants Angabe vollſtändig. Nah meinen Beobachtungen nimmt der Vogel in der Nuhe, alſo auh im Schlafen, eine eigentümliche Stellung an. Er ſißt nämlih niht bloß mit den Füßen auf dem Aſte, ſondern legt ſih mit der ganzen Bruſt darauf. Da nun bei dieſer Stellung die Ferſengelenke ſehr gebogen und die Fußwurzeln hart an den Körper gelegt werden müſſen, ſieht es allerdings aus, als ob er an dem Aſte hänge; im Grunde

genommen liegt er nur auf ihm. Während er ſih bewegt, nimmt er auch oft die Stellung