Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

Anpaſſung an Klima und Boden. Weſen. Il

Schre>- und Abwehrmittel zu ſehen, obgleich ih für die oft übertriebene Schrektheorie nicht ſonderlich begeiſtert bin und Bo ettgers Anſicht als entſchieden befriedigendere weit lieber teilen würde, wenn ih nicht ſelbſt am Orte geweſen wäre.“

„Eine zweite Anpaſſung, die minder anfechtbar dem Nahrungserwerbe dient, und die gleichfalls dur eine Änderung im Baue des Schwanzes veranlaßt wird, findet ſih beim Wunderge>o (Teratoscincus). Hier hat der Shwanz dur eine Längsreihe großer, dachziegelig aufeinander gelegter Schindeln auf ſeiner Oberſeite ein Schrillorgan ausgebildet, mit welchem dieſer Haftzeher, wie ſein Vetter Ptenopus in Südweſtafrika es mit ſeinem Kehlkopfe thut, durch raſches Hin- und Herbewegen des Schwanzes aufs munterſte muſiziert. Das Tier ſitt dabei in der Abenddämmerung und anbrechenden Nacht vor ſeiner Wohnung. Das durch das Geigen mit dem Schwanze erzeugte heuſchre>en- oder grillenartige Gezirpe vermag nächtliche Heuſchre>en, die zu ſeiner Nahrung dienen, wohl anzulo>en; vielleicht auth iſt es zugleih der Paarungsruf, den dann aber, was ungewöhnlih wäre, beide Geſ<hlehter hervorzubringen im ſtande ſind. Auch dieſe gewiß wunderbare, von A. Strauch zuerſt hervorgehobene Thatſache bedarf no< weiterer Beobachtung und Aufklärung.

„Das kleinſte Shüppchen hat wie das kleinſte Farbenkle>s<en in dem Haushalte und Getriebe der Natur ſeine Bedeutung, aber nur ſelten liegt die ſichere Erklärung dieſer Bedeutung ſo nahe und ſo klar vor uns wie am Kleide ſolcher Sand- und Steppenbewohner, bei welchen gleihſam jeder kleinſte dem Tiere dur ſeinen Körperbau mögliche Vorteil bereits aufs äußerſte ausgenußt erſcheint.

„Über die Sorge der transfaſpiſchen Kriechtierwelt für die Nachkommen, die bedeutſamſte Thätigkeit von allen für das Fortbeſtehen und die gedeihliche Entwidelung der Art, weiß ih leider wenig Thatſächliches zu berihten. Da, wo das künftige Geſchlecht in der Form von Eiern dem Erdboden übergeben wird, geſchicht das Eingraben der Eier an günſtigen Orten mit größerer Sorgfalt als gewöhnlich, und bei der Horsfieldſhen Schildkröte, einer äußerſt geſchi>ten und ausdauernden Gräberin, in beſonders ſhüßender Tiefe. Die Brillenſchlange bringt lebendige Junge zur Welt; daß Sandraſſelotter und die dortige Otter lebendig gebären, iſt bei der Ähnlichkeit mit den europäiſchen und afrikaniſchen Vipern faſt ſicher, daß aber auh die meiſten der in Transkaſpien einheimiſchen, zahlreihen Agamiden und alle Wühle<hſen lebende Junge zur Welt bringen, iſt mehr als wahrſcheinlich.“

Dies eine Beiſpiel für den Einfluß von Klima und Umgebung auf die Kriechtierwelt mag uns genügen, ſo verlo>end und lohnend es au<h wäre, etwa die Anpaſſungen der Kriechtiere Braſiliens oder Madagaskars an ihre Urwaldumgebung, oder den Einfluß des unermeßlihen Meeres auf die in der See lebenden Schlangen und Schildkröten zu ſchildern.

Das Thun und Treiben der Kriechtiere läßt ſi<h mit dem der Säugetiere und Vögel kaum vergleichen, weil die Kluft zwiſchen ihnen ſo außerordentlich groß iſt. Fm Einklange mit der geringen Hirnmaſſe und entſprehend dem unvollkommenen Blutumlaufe führen ſie ſozuſagen nur ein halbes Leben. Es gibt ſolche unter ihnen, welche wir lebhaft, beweglich, gelenkig und gewandt, liſtig und klug nennen; alle dieſe Eigenſchaften aber kommen denen der Säugetiere und Vögel niht im entfernteſten gleih. Die Kriechtiere friehen, laufen, flettecn, ſpringen und ſ{hwimmen; einzelne Arten können ſogar in gewiſſem Sinne ſ{hweben, d. h. mit Hilfe einer Flatterhaut, die wie ein Fallſchirm gebraucht wird, ſich über größere Entfernungen wegſchnellen, niemals jedo<h ſih von unten nah oben aufſhwingen, ſondern immer nux von oben nah unten hinablaſſen. Unſere Tiere verdienen ihren Namen; denn ſelbſt ihr Gehen und Laufen iſt, ſtreng genommen, nur ein