Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 5, page 787
Gemeine Kreuzſpinne. 705
Kunſttriebe der Baumeiſterin. Wenn niht „Baumeiſter“ geſagt wurde, ſo geſchah dies nur, weil die Spinne gemeint iſt, gleichviel, ob Männchen oder Weibchen; denn dieſer Bau gilt niht der Brutpflege, die nur dem letzteren anheimfallen würde, ſondern der Erhaltung des eignen Lebens, woran hier ein für allemal erinnert ſein mag. Mitten in ihrem Gewebe, wel<hes vorzugsweiſe nah einem ſanften Regen in einem Tage oder in einer Nacht vollendet zu werden pflegt, ſißt nun die Kreuzſpinne mit nah unten gerichtetem Kopfe; paßt es ihr beſſer, ſo hat ſie ſih an dem einen Ende desſelben unter einem Blatte oder an einem ſonſt geſhüßten Pläßchen häuslih niedergelaſſen, welhes aber ſtets dur einige ſtraffe Fäden, gleihſam den Telegraphendrähten, welche ſie durch jede Erſchütterung die Ankunft einer Beute ſofort wiſſen laſſen, mit dem Mittelpunkt in Verbindung ſteht. Jest zu>ken ſie, weil eine Fliege ſo unglü>lih wax, gegen das Net anzurennen und ſich bei ihrem Zappeln nah Freiheit immer mehr zu verwi>eln. Die in ihrer Ruhe hierdurch gern ſih ſtören laſſende Spinne ſtürzt aus ihrem Hinterhalt hervor, aber ſtoßweiſe weil ſie immer vorſichtig, nie blind in ihrem Eifer zu Werke geht, und gelangt \<hnell bis Zur Mitte. Von hier begibt ſie ſi< na<h der Stelle, wo die Fliege gewaltig ſtrampelt und ſummt, aber ſhon anfängt zu ermatten, und verſeßt ihr einen Biß, welcher ſie \<hnell zu vollfommener Ruhe bringt. Fe na<h den Umſtänden verfährt ſie in verſchiedener Weiſe. Bei ſtarkem Hunger geht ſie ſofort an die Mahlzeit, oder ſie legt ein breites Band von Fäden um die Fliege und läßt ſie, gleih einem Püppchen, zunächſt hängen, oder ſie beißt dieſen eingewid>elten Le>erbiſſen ab, trägt ihn in ihren Winkel um ihn daſelbſt in aller Muße zu verſpeiſen, d. h. zuſammenzukauen und mit Speichel vermiſcht aufzuſaugen. Daher finden ſi< in den Auswürfen Chitinſtü>chen von einer Größe, welche den Durchgang dur< den Shlund geſtattet. Man hat auch beobachtet, daß die Spinne, wenn ſie eine Weſpe oder ein anderes ihr nicht zuſagendes Weſen in ihrem Netze gewahr wird, dieſem dur< Abbeißen einiger Fäden ſelbſt zum Entkommen verhilft. Sehr kleine Müchen, welche manchmal in großen Mengen das Nez über und über dunkel färben und die klebende Kraft desfelben bedeutend verringern, liefern ihr niht nur zu wenig Nährſtoff, ſondern nötigen ſie ſogar, den Bau zu verlaſſen und einen anderen anzulegen. Sie hat keine dienſtbaren Geiſter wie einige weſtindiſhe Kreuzſpinnen, in deren Neſtern Darwin häufig kleinere Spinnchen antraf, von denen er vermutet, daß ſie ſi<h von denjenigen Gefangenen ernähren, welche der Eigentümerin des Baues zu unanſehnlich erſcheinen. Daß die Kreuzſpinne ein zerriſſenes Neb ausbeſſere, wird von dem einen Beobachter behauptet, vom anderen geleugnet; es geſchieht ſiher, wenn die Spinne wegen reichlichen Anfluges von Jnſekten keine Veranlaſſung hat, den alten Standort zu verlaſſen.
Die Verſchiedenheit im Betragen der Kreuzſpinne bei der Anlage eines Neſtrahmens, bei der Behandlung der Beute und deren Genuß, erſtre>t ſih auh auf die Art, wie ſie einer Gefahr begegnet. Das gewöhnliche Mittel, derſelben zu entgehen, beſteht im Herablaſſen an einem Faden, an welchem ſie in der Luſt hängen bleibt, wenn ſie dies für ausreichend hält, oder auf die Erde fällt und ſi hier tot ſtellt, um nachher wieder ruhig hinauf zu flettern. Jh habe auh ſ<hon bemerkt, daß ſie an einem breiten Bande ZUL “Erde fällt und ſ{leunigſt davon läuft. Dieſes lettere Mittel ſcheint ſie beſonders dann anzuwenden, wenn die Störung vollkommen unerwartet kam, wenn beiſpielsweiſe ein fräftiger Stoß an den Aft erfolgt, auf welchem ſie ſorglos in ihrem Hinterhalt ruhte. Höchſt wahrſcheinlih gehört auh zu ihren Sicherungsmitteln das ſonderbare Benehmen, wenn ſie mitten im Neſte ſigt. Was Darwin bei einer braſiliſhen Spinne beobachtete, können wir auch bei unſerer Kreuzſpinne ſehen: feſt ſigen bleibend, fängt fie an zu ſ{<wingen und verſeßt dadur<h das ganze Gewebe in eine ſo heftig zitternde Vewegung von vorn nah hinten, daß thr Körper dem Auge des Beobachters faſt entſ<windet.
Brehm, Tierleben. 3. Auflage. I 45