Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6

68 Krebſe. Achte Ordnung: Rankenfüßer. Allgemeines.

Jn dem ſi<h nun mehx abhebenden Hautpanzer finden Ablagerungen von kalkigen Platten ſtatt, welche bald ein den übrigen Krebſen ganz fremdartiges Gehäuſe bilden. Darin liegt, wie zuſammengekauert, der unterdeſſen auch verſchiedentlih umgeſtaltete Körper. Jebt, wo wir es wiſſen, ſcheint es ſi freilih von ſelbſt zu verſtehen, daß troy der konchylienartigen Außenſeite die Krebsnatux ſih unter anderem ganz unzweideutig in den ſe<s Paar Spaltfüßen mit ihren vielgliederigen Endranken verrät. Ein fernerer wichtiger Charakter der Ordnung iſt ihr Hermaphroditismus. Nur die Gattungen Cryptophialus und Alcippe find getrennt geſ<hle<tli<h. Die Männchen ſind im Verhältnis zu den Weibchen winzig klein, kaum größer als die Eier und in ihrem Körperbau ſehr von ihnen verſchieden. Erft ſ{wimmen ſie frei herum und heften ſih ſpäter im Mantelrxaum oder an die Beſeſtigungsſcheibe der weiblihen Fndividuen, oft zu zweien und dreien, an. Außerdem kommen no< bei einer ganzen Anzahl von regelrecht gebauten, wirkli<h hermaphroditiſ<hen Arten von Entenmuſcheln (zu den Gattungen Tbla und Scalpellum gehörig) ausſ{<ließli<h männlihe, ſehr kleine und teils ganz verſchieden wie die Weibchen, teils ihnen etwas ähnlihere Männchen vox, welche ihr Entde>er Darwin „komplementäre Männchen“ genannt hat. Die Bedeutung dieſer Männchen iſt no< unbekannt, und es ſcheint zweiſelhaſt, ob die Eier des Hermaphroditen bei der Möglichkeit der Selbſtbefruhtung derſelben jener zur Entwitelung bedürfen. Gerſtä>er ſieht in denſelben im Verſchwinden begriffene überflüſſige Fndividuen, welche ex ſehr richtig mit rudimentären Organen vergleicht.

Die Cirripedien ſind in mehr als 220 Arten ausſ\cließli<h Meeresbewohner und haben eine ſehr weite Verbreitung, einmal dur< ihre Gewohnheit, ſich an flottierende und ſ{hwimmende lebloſe und lebende Körper anzuſeßen, dann durch die Kleinheit ihrer Larven, welche von den Strömungen mit Leichtigkeit hin und her getrieben werden. Rechnet man hierzu noh ihre Fruchtbarkeit, ſo wird es begreiflich, daß die Strandlinien an den Felſen von Hunderte von Meilen voneinander entfernt gelegenen Küſten mit Millionen derſelben Seepo>enart ‘beſeßt ſein können. Die Tiere können ihr Gehäuſe willkürlih öffnen und außerordentlich feſt verſchließen, und dieſer leßteren Fähigkeit verdanken ſie es, daß ſie längere Zeit ohne Zutritt des Waſſers exiſtieren können. Von manchen möchte man vermuten, daß ſie unter Umſtänden in einen Zuſtand der Lethargie verfielen. Wie könnte man es ſi< ſonſt erllären, daß an den Klippen von Elba im heißen Sonnenſchein Seepo>en ſißen, welche nur bei Sturm vom Waſſer erreicht werden, oder an Felſen von St. Malo in einer Höhe, wohin das Waſſer nur zwei- oder dreimal jährlich auf einige Stunden bei höchſter Springflut gelangt? Sie müſſen, wochen- und monatelang ohne Atemwaſſer und ohne Nahrung, während dieſer Zeit ein latentes Leben führen. Aber wie wachſen ſie, und wie ſind ſie gewachſen bei dieſem prekären Stoffwechſel?

Wenn die Tiere ungeſtört in ihrem Element ſind, dann klaffen ihre Schalen, und aus dem Spalt heraus treten ihre Gliedmaßen, die niht mehr der Ortsveränderung dienen, ſondern dur< ununterbrochenes Winken und Strudeln das Atemmwaſſer und die Nahrung herbeizwingen. Die leßtere iſt animaliſh: allerlei pelagiſhe Tierchen, Infuſorien, NRadiolarien, Larven und Junge der verſchiedenſten Tiere (Pagenſteher fand einmal im Magen einer einzigen Entenmuſchel 50 junge Miesmuſcheln!), ja der eignen Art.

Der Name der einen Familie, der Entenmuſcheln (Lepadidae), hängt, was den erſten Teil der Zuſammenſeßung angeht, mit dem alten Aberglauben zuſammen, daß aus dieſem Tiere die Bernikelgänſe ſih entwi>elten; der zweite iſt aber vollkommen gerehtfertigt, denn die Ähnlichkeit mit manchen Muſcheln iſt in der That aroß. Sie ſißen mit einem biegſamen, muskulöſen Stiele auf, und das Gehäuſe iſt platt und dreiſeitig. Nach der Anzahl und der größeren oder geringeren Entfaltung der Kalkplatten werden eine ganze Reihe von Gattungen unterſchieden. Zu den gemeinſten gehören Lepas und Otion.