Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6

Phyllodocea. Glycerea. Gemeiner Gandwurm. 121

in Violeit, Blau und Gold. Eine andere, an der ſiziliſhen Küſte lebende Gattung und Art, Torrea vitrea, iſt ſo durdſictig, daß man bei ihren Bewegungen im Waſſer nur ihre Augen als zwei rote Punkte und zwei Reihen violetter Punkte ſieht, drüſenartige Drgane am Grunde der Fußſtummel. Wie vollkommene Geſichtswerkzeuge jene beiden Augen ſeien, davon überzeugte ſih der oben genannte Pariſer Naturforſcher auf folgende überraſende Weiſe. Der Zoolog betrachtete mit dem Mikroſkop das Auge der Torrea, und ſiehe, auf deſſen Hintergrund projektierte ſi das zierlihſte und genaueſte Bild eines Teiles der vor dem Fenſter des Beobachters ſih ausbreitenden Landſchaft. Die eine Bedingung der Vollkommenheit des Geſichtsorganes war erfüllt und die andere Bedingung, eine Nebhaut zum Auffangen des Bildes und ein Nerv zur Übermittelung des Eindru>es an das Gehirn, war auh da. Wir fügen hinzu, daß eine ähnliche Vollkommenheit diefer Organe für die meiſten der frei lebenden Nückenkiemer gilt.

Einen ganz anderen Eindru> macht wiederum die Familie der Glycerea. Die Segmente ihres geſtre>ten Körpers ſowie der kegelförmige Kopflappen ſind nochmals ſ{<mal geringelt. Sie können einen im Verhältnis zu ihrer Größe ganz foloſſalen Nüſſel vorſtre>en, der mit allerhand kleinen Warzen und Zähnchen dicht bede>t iſt. Wie ſie ſih ſeiner bedienen, beobachtet man leiht, wenn man ſie am Seeſtrand unter Steinen auf ſandigem Boden überraſcht: ſie bohren ſih alsdann, den Nüſſel abwechſelnd mit Gewalt ausſtre>end und einziehend, in den Boden ein. Fhrer verſte>ten, lihtſheuen Lebensweiſe entſpricht auh die wenig lebhafte Färbung. Die Verbreitung der Gattung Glycera (Fig. 3, S. 120) iſt eine ſehr große; man kennt ſie von Neuſeeland, Valparaiſo, Peru, von Grönland und vom Nordkap, wie denn auh eine Reihe von Arten in den mittel- und ſüdeuropäiſchen Meeren nicht fehlen.

Wir kommen jeßt zu einer zweiten Unterordnung der vielborſtigen Ringelwürmer, zu den feſtſizenden oder röhrenbewohnenden (Sedentaria s. Tubicolae), und beginnen unſere Betrachtung mit dem gemeinen Sandwurm (Pier, Arenicola piscatorum, Fig. 4, S. 120). Er gehört zu einer ſehr natürlichen, abgeſchloſſenen Familie, deren Glieder eine ähnliche Lebensweiſe führen wie die Glyceren. Die genannte Muſterart war bis zu Lamar> als ein Regenwurm betrachtet worden. Unſere Abbildung zeigt, daß der Körper nah vorn ſtark zugeſpitzt iſt, und daß er in drei Hauptabſchnitte zerfällt. Ex erreicht eine Länge von 22 cm und variiert ſehr in der Färbung; grünliche, gelbliche und rötliche Tinten herrſchen vor, es gibt aber auh ſehr helle und faſt dunkelſhwarze Individuen. Die Nüancen dieſer Färbungen ſtehen im offenbaren Zuſammenhang mit der Beſchaffenheit des Aufenthaltes, indem die helle Varietät nur in faſt reinem Sandboden, die ſ<hwarze in einem dur< ſtarke Beimiſchung organiſcher, ſih zerſeßender Stoffe faſt \<lammigen Boden vorkommt. Jch fand dieſe dunkel gefärbten Sandwürmer mit einem Stich ins Grüne, 3. B. in dem ſ<hlammigen Hafen von Nizza. Über den kleinen dreie>igen Kopf hervor kann der einem Becher gleihende Rüſſel geſtre>t werden. Die vorderen Körperſegmente tragen auf dem Rüden bloß die in Höcker eingepflanzten Borſtenbündel, hinter welchen auf den 13 mittleren Segmenten die äußerſt zierlih verzweigten Kiemenbäumchen ſtehen. Das lette Drittel des Körpers iſt ganz drehrund, ohne Kiemen und Fußhöer.

Der Fiſcher-Sandwurm lebt faſt an allen Küſten von Europa und von Grönland, und er iſt faſt der einzige Wurm, welcher einen gewiſſen reellen Wert hat, da, wie Wagner nachweiſt, allein auf der Jnſel Norderney 9/2 Millionen Stück Sandwürmer zum Schellfiſhfang verwendet werden, welche doh immerhin ein Kapital von 12—15,000 Mark repräſentieren. An vielen ſandigen Uferſtre>en kommt er in ungeheuern Mengen vor,