Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6, page 617
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Keulenpolyp. Süßwaſſerpolypen. 561
geſtalteten Mitbruder. Wahrſcheinlich werden ſie auh als Verteidiger wirken, da ſie weit beſſer mit Waffen (Neſſelkapſeln) ausgeſtattet ſind als der Freßpolyp. Die Knöpfchen der Tentakeln ſind nämlih Neſſelbatterien.
Über die Fortpflanzung der Hydrokorallien, welche zwiſchen den Wendekreiſen hauſen und ſich au< an dem Aufbau der ſpäter zu erwähnenden Koralleninſeln beteiligen, weiß man noch nihts. Sie wachſen auf Felſen, abgeſtorbenen Korallen, überziehen gern die Skeleite von Gorgoniden, ja ſind namentlich bei den Bermudasinſeln auf alten, ins Meer weggeworfenen Flaſchen öfters gefunden worden. Fn dieſem Falle iſt die Unterſeite des Stockes ganz platt, wie poliert, und bildet einen genauen Ausguß der Oberfläche des Glaſes mit ſeinen Schrammen und Riſſen.
Wir müßen zum Schluß dieſes Kapitels noch einiger Polypenformen des ſüßen Waſſers gedenken.
Der Keulenpolyp (Cordylophora lacustris) bildet 4—8 cm hohe, zierli<h veräſtelte Väumchen, die mit einem Wurzelgefle<ht auf Steinen, Holz, Muſchelſchalen 2c. aufgewachſen ſind. Der ganze Sto> iſt mit Ausnahme der keulenartigen, mit einem Rüſſelmund und unregelmäßig verteilten fadenförmigen Armen verſehenen Köpfchen von einer zarten Chitinhülle bede>t. Die Stö>kchen ſind getrennt geſchlechtli<h und von rötlichgrauer Farbe. \
Bis în die Mitte unſeres Fahrhunderts hinein kannte man die Cordylophora nur aus dem Brackwaſſer der europäiſchen und nordamerikaniſchen Küſten. Da tauchte ſie hier und da in dem unteren Laufe der Flüſſe, der Themſe, Elbe 2c., auf, und jet iſt ſie ſowohl in der Alten wie in der Neuen Welt weit in das Binnenland eingedrungen. Jn der Saale bei Halle findet ſie ſih, und in dem ſogenannten jeßt auf dem Ausſterbeetat ſtehenden, zur Zeit kaum noch ſalzigen Salzigen See bei Cisleben gedeiht ſie beſonders üppig. Jn Hamburg iſt ſie ſtellenweiſe in die Röhren der Waſſerleitung eingedrungen und hat ſich hier ſo maſſenhaft entwid>elt, daß dieſelben auf ganze Stre>en thatſächlih verſtopft ſind.
Die Einwanderungsgeſchihte der Cordylophora iſt ſehr lehrreich für das Verſtändnis der Entſtehung wenigſtens eines Teiles der Tierwelt des Süßwaſſers. Hier hat ſi< zu unſerer Zeit und unter unſeren Augen ein Bra>kwaſſertier an das ſüße Waſſer in wenig Jahren fo angepaßt, daß es völlig ein Süßwaſſertier und zwar ohne die geringſte Veränderung ſeiner Organiſation geworden iſt. Ob nicht im Laufe langer Jahre eine ſolche doh noch nach und nah ſtattfinden wird, iſt freilih eine andere, vorläufig unlösbare Frage.
Weit bekanntere Süßwaſſer-Coelenteraten als die Cordylophora und viel beſonderer an ihren Aufenthaltsort angepaßt ſind die Hydren — die Süßwaſſerpolypen par excellence. Bei einer Länge von 1—6 und 8 mm gleichen ſie in Geſtalt faſt vollſtändig dem mit dem Fühlerkranz verſehenen Tiere der Hydraktinie. Man wird in dem Waſſer ſtehender, pflanzenbewahſener Tümpel und Teiche in der Regel nicht vergeblich nach einer der drei Arten der Süßwaſſerpolypen, der grünen, grauen oder gemeinen (Hydra viridis, H. grisgea und H. yulgaris), fuhen, wenn man eine mäßige Menge der denſelben entnommenen Pflanzen ſi ruhig in einem Glaſe ausbreiten läßt und dann mit der Lupe muſtert. Sobald ſie in Nuhe gekommen, fangen die Polypen an, ſih zu ſtre>en und ihre 6—8 Fühler zu feinen Fäden auszudehnen. An ſie anſtreifende kleine Tierchen ſehen wic wie gelähmt daran hängen bleiben, worauf die Fühlfäden ih zuſammenziehen und die Veute dem begierig ſi öffnenden und großer Erweiterung fähigen Munde zuführen. Was aber den nach der natürlichen Verwandtſchaft forſhenden Zoologen dazu bewegt, unſere Hydra unter die Quallen zu verſeßen, iſt ihre innigſte Beziehung zu den von den
Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X, 36