Das Nordlicht. Bd. 1-2

Doch hoffte er nun ohne Makel zu bleiben

Und nimmer im Fieber ins Freie zu rennen.

Auf einmal jedoch kam die Luftsehnsucht wieder, Und glühende Brunst fuhr ihm jäh durch die Glieder. Da warf sich ein Mädchen ihm plötzlich zu Füßen: Sie kam in die Gruft, für Vergangnes zu büßen: Sie zitterte lange, sie konnte kaum flehen

Und mutvoll ihr teuflisches Fühlen gestehen.

Doch rief sie auf einmal, mit blutigem Mund:

»O heiliger Bruder, mein Herz ist so wund,

Ich starrte in Moder und garstigen Dunst,

Ich stöhnte: © Heiland, entraff mich der Brunst! Ich habe gefastet, ich sprach mein Gebet,

Da haben sich Bilder im Kreise gedreht:

Ein Jüngling erschien mir, auf scheckigem Tier, Doch kam nicht der Heiland herunter zu mir!

Ich faßte den Knaben. Er hat mich geküßt.

Da pochte das Herz, und es wuchs mein Gelüst: Ich weiß, — o ich hab ihn im Traume gedrückt Und herrlich mit Blüten und Tränen geschmückt. Die Venus, vor der ich mich früher geneigt,

Hat heimlich mir diese Gestalt noch gezeigt.

Denn bat ich um Männer, vor ihrem Altar,

So zeigte sich gleich eine kommende Schar.

Wie kraus mich die nackte Erinnerung quält!

Ich hatte da froh, was mich reizte, gewählt,

Doch nun packt mich immer die Sorge im Traum: Erwach ich, so würgt mich der modrige Raum. Gespenster erfüllen die furchtbare Leere,

Sie stürzen auf mich, ich fühl ihre Schwere,

O hilf mir, ich weiß, ich bin immer noch geil, Der eigne Kalvarienberg ist mir zu steil,

© rette mich, du, o versprich mir das Heil!«

Nun bückt sich der Priester und spricht, tief aus Güte: »Der Heiland erhört deinen innigen Ruf,

196