Der Gottesbegriff meister Eckharts : ein beitrag zur bestimmung der methode der Eskhartinterpretation

gegen zu halten, daß in sehr vielen Texten die Gnade neben den fundamental neuen Lehrbegriffen nicht mehr entscheidend ist und lediglich als Traditions- und Zeitgebundenheit und traditionelle Reminiscenz gewertet werden kann“). Für die Predigt Pf. 73 habe ich oben nachgewiesen, wie durch die Einführung des Gnadenbegriffes ein Widerspruch in die Predigt hineinkommt und die Lehreinheit auseinander gesprengt wird, falls nicht etwa die Gnadenlehre in diesem Fall interpoliert ist (p. 205). In ähnlicher Weise ist auch Pf. 58 zu interpretieren, in der entweder durch Interpolation oder durch Zurückweichen des Autors selbst vor den Konsequenzen seiner Überlegungen ausdrüclich hervorgehoben wird: „Ich hän aber gesprochen: von gnaden!“ (185,6). Das Entscheidende ist aber in dieser Predigt die Wesensidentität Gottes und des Ich: (Der mensche) ist werliche das selbe von gnäden, daz got ist von natüre, und got bekennet sin selbes enkeinen underscheid enzwischen im und disem menschen. Ih hän aber gesprochen: von gnäden. Wan Got der ist guot und dirre mensche ist guot und also als got guot ist von natüre also ist dirre mensche guot von gnäden, wan gotes leben und sin wesen ist in disem menschen alzemale.... Wan dirre kneht ist guot bi gote in keiner andern güete denne da got guot ist“ (185,4 ff). Zieht man den ganzen Predigtzusammenhang heran, besonders 186,1 ff, 188,9 ff, so wird ersichtlich, daß der Gnadenbegriff hier nicht mehr konstitutiv ist, daß er vielmehr von zwei Seiten her bedeutungslos gemacht wird: sowohl dadurch, daß er von einer anderen theologischen Grundhaltung her beiseite gedrängt, als auch dadurch, daß er durch die Bestimmung der Totalität der Gnadengabe über sich selbst hinausgeführt wird.

Es läßt sih an den nur verhältnismäßig wenigen Stellen, an denen Eckhart ausführlicher über die Gnade spricht, zeigen, wie es bereits an anderen Motiven geschehen ist, daß auch hier die scholastische Gnadenlehre von innen her geweitet und gesprengt wird, daß mindestens die Tendenz dazu an vielen Stellen hervortritt. Eine systematisch einheitliche neue Gnadenlehre läßt sich zwar daraus nicht gewinnen. Die Darstellung muß sich vielmehr darauf beschränken, die Ausweitungen und Umdeutungen des Gnadenbegriffs aus dem jeweiligen Zusammenhang heraus aufzuzeigen und im Ganzen zu erweisen, daß die Tendenz von E&harts Theologie auf die Überwindung des kirchlich „korrekten“ Gnadenbegriffs geht.

62%) cf, Pf. 7:39,27; 13:64,28app: 20:87,7,204f: 40:135,22; 58: 185,4: 66: 208,28: 72: 228, 20. BgTr. 15, 18; 22,56: 52,10: 37,10; 58,25; Homo nob. z. 19.

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