Der Gottesbegriff meister Eckharts : ein beitrag zur bestimmung der methode der Eskhartinterpretation

definiert sahen”), so können wir jetzt schließen: Die Einheit, die wesensgleich ist mit der multitudo, ist demzufolge auch als eine nicht-endlihe Größe das Konstitutionsprinzip des Endlichen”). Als solches ist ihre Vorordnung vor alles Mannigfaltige eine absolute, sie liegt selbst jeder Apprehension schon zu Grunde: IV 250.9: ante quelibet duo aut plura, necessario et in re et in omni apprehensione prius cadit unum. In diesem Motiv zeigt sich wie überall die grundsätzliche Umkehrung der wissenschaftlichen Problemstellung. Thomas von Aquin übernimmt nämlich die relative aristotelische Vorordnung des proteron te physei und proteron pros hemas und unterscheidet die apprehensio intellectus und apprehensio sensus. In jener gilt die Vorordnung der Einheit vor das Mannigfaltige, in dieser umgekehrt die des Mannisfaltigen vor die Einheit: ea quae sunt priora secundum naturam et magis nota, sunt posteriora et minus nota quoad nos, eo quod rerum notitiam per sensum accipimus (cit. Thery IV 250 n. 5).

Gleichviel, ob bei Eckhart bereits die prinzipielle Wendung vorhanden ist, die zur Begründung der neueren Mathematik führt — das müssen die noch zu edierenden Texte erweisen so ist doch ersichtlich, daß er seine Theologie methodish an der Mathematik als einer systematisch vorgeordneten Wissenschaft orientiert"), sofern die Mathematik das technisch-begrifflidre Rüstzeug an die Hand gibt, mit der die Theologie nunmehr ihre eigenen Probleme bewältigen kann, sofern sie dazu der Hilfe nicht spezifisch theologischer Begriffe bedarf. wie etwa der Bestimmung der Einzigkeit oder der logischen Teilhabe des Vielen an der Einheit. Die methodische Orientierung an der Mathematik hat die wissenschaftsgeschichtlich revolutionierende Folge, daß die Metaphysik damit vernichtet wird®).

Wenn wir die mannigfachen Motive überschauen, in denen Eckhart seinen einzigen Gedanken der Wesenssründung des Faktischen im Logos zum Ausdruck brachte, so zeigt sich überall, daß das ..Descendieren“, das Hervorgehen des Niederen aus dem Höheren, des „Unvollkommenen“ aus dem .„Vollkommenen“ nicht im substantiellen Sinn des Daseins, sondern in dem funktionalen

>) IV 256,5: numerus sive multitudo. numeratum et numerabile. ut

sie ex unitatibus constituitur et subsistit. °) Damit dürfte sich das Problem der Koinzidenz des Größten und Kleinsten bei Cusanus berühren cf. Doct. Ignor. I, 45.

®) Zum eu der systematischen Vorordnung: Görland, Prologik . 541. Hr Cassirer, Das Erkenntnisproblem I, 5. Aufl., 3854.

“) Sehr bedeutsam dafür, wie hoch Eckhart die Mathematik ein-

schätzt, ist IV 540,7, wo er im Anschluß an Platon die species der Dinge mit der Zahl verknüpft. ef. Thery, ib. n. 1.

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