Der Gottesbegriff meister Eckharts : ein beitrag zur bestimmung der methode der Eskhartinterpretation

Vorwort

An Tiefe und Kühnheit seines geistigen Gehalts ist Meister Eckhart die gewaltigste Erscheinung religiöser Geistigkeit in der gesamten mittelalterlichen und neueren Religionsgeschichte. Mit revolutinärer Kraft kommt in ihm ein neuer Lebensstil zum Durchbruch, eine neue Weltanschauung, die des deutschen Idealismus, die die Welt der Scholastik und damit die des traditionellen Christentums in ihrem geistigen Anspruch vernichtet. Eckhart ist religiös der erste große moderne Mensch, gleichsam die erste deutsche Renaissancegestalt im wahrsten Sinne des Wortes: eine Neugeburt des deutschen Geistes, sein Aufwachen zu sich selbst an der nur erst dürftig erschlossenen, teils nur vermittelten und in dieser Vermittlung stark entstellten Überlieferung des klassischen Idealismus. Eckhart steht in der Weltlinie dieses Idealismus von Plato zu Leibniz und Fichte. Hier wird das Christentum gleichsam von dem an einer Jahrhunderte langen Tradition geschulten und nunmehr mündig gewordenen deutschen Geist erst wahrhaft lebendig und schöpferisch rezipiert, indem er es gleichzeitig seinem Wesen gemäß um- und fortbildet. Aber das ist ein Umschmelzungsprozeß von so ungeheurer Kühnheit, daß von dem „Christentum“ nichts mehr übrig bleibt als nur die eigentlich idealistischen Motive der johanneischen Lehre, die dogmatish kirchlih nicht einmal als das wesentlich Christlihe galten. Eckhart vernichtet Legende und Dogma.

Das nun ist der entscheidende Unterschied zur späteren deutschen humanistischen Renaissance — wenn man von einer deutschen Renaissance überhaupt reden kann —, daß Eckhart keinerlei gelehrte und wissenschaftliche Interessen hat, die nur eine lebensmittelbare Bedeutung hätten, sondern daß es hier um das unmittelbare Leben und seine Gestaltung selber geht bei jedem einzelnen Menschen, wie es in dem bezeichnenden Motiv des „sunder warumbe“ Lebens und dem bekannten Wort von dem Lebe- und Lesemeister nicht schärfer betont werden kann. Seine Theologie als Wissenschaft ist nur der reflektierte Ausdruck der Unmittelbarkeit seiner Religiösität selbst.

Diese seine grundsätzlich neuartige Religiösität ist der spezifisch autonome Ausdruck eines neuen Lebensstils, einer neuen Weltanschauung, der der Renaissance, deren typischer Ausdruck