Der Gottesbegriff meister Eckharts : ein beitrag zur bestimmung der methode der Eskhartinterpretation

Bestimmungen als Schöpfer etc. mit jenen sachlichen des Seins, der Wahrheit etc. zu leisten. In der Weise stellt nun Eckhart in der Tat sein Problem. Die erste Propositio lautet: esse est deus (Den. 537,20): das Sein hat als Gott zu gelten, und er beweist sodann die Notwendigkeit, beide Begriffe als identisch zu setzen. Es ist bemerkenswert, daß es bei Eckhart keinen Gottesbeweis gibt, und daß auch an dieser Stelle kein solcher gegeben wird. Dieser Umstand sollte diejenigen zur Vorsicht mahnen, die immer noch von ihm als einem Intellektualisten sprechen, denn dessen Bemühen müßte es doch gerade sein, Gott beweisen zu wollen. Daß Gott ist und daß er Schöpfer ist, wird vielmehr immanent vorausgesetzt. Das bedarf auch keines Beweises, weil es Bestand der Unmittelbarkeit des religiösen Erlebens ist. Es handelt sich nunmehr lediglich um das Problem, wie die Unmittelbarkeit des Erlebnisses ihren exakt begrifflihen Ausdruck findet in einer Theologie.

In dem Identitätsbeweis, daß das Sein notwendig Gott sein müsse, wird keineswegs bewiesen, wie Meerpohl meint“) (p. 20), daß mit dem Begriff „Gott“ das esse notwendig gegeben sei und eine Gleichsetzung des begrifflichen Seins mit der ontologischen Ordnung, also ein extremer Realismus sich nicht leugnen lasse, Der Ausgangspunkt ist nicht der Begriff „Gott“, sondern der Begriff „Sein“! Darin liegt das Revolutionierende von Eckharis Fragestellung. Ferner ist es auch nicht so, daß das begriffliche Sein mit dem Terminus „Gott“, die ontologische Ordnung mit dem Terminus „esse“ bezeichnet würde, vielmehr ist es gerade umgekehrt: die „begriffliche“ Grundlegung ist das esse, und die Dringlichkeit der Frage nach Gott kann erst an dieser Stelle eine Auflösung erfahren: Gott ist unmittelbares Erleben, das in dem Terminus des esse seine wissenschaftlich reflektierte Form findet. Es handelt sich also in den Begriffen Deus — esse nicht um die Gegenüberstellung von begrifflihem Sein und ontologischer Ordnung, sondern um wissenschaftliche Reflexion und Unmmittelbarkeit des Erlebens. welch letzteres in der Reflexion wissenschaftssystematisch gegenständlich wird in einer Theologie. Wäre es so, wie Meerpohl meint, dann müßte die Propositio vielmehr heißen: Deus est esse. Nun sahen wir, daß keiner dieser beiden Begriffe aus dem andern abgeleitet, sondern daß von ihnen, die ursprünglich als verschieden gedacht wurden, ihre Identität gezeigt wird. Es wird nämlich im Beweis vom Sein vorausgesetzt, daß es einzig sei und als Gegenbegriff nur das Nichts habe”), und daß

“) Meerpohl, M. Es Lehre vom Seelenfünklein. 1926. ”) Den. 558,1: Extra esse et ante esse est solum nihil.

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