Die Geſchichte des Weltkrieges 1914/17.

999 Fluſtrierte Geſchichte des Weltkrieges 1914/17.

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ſeiner Nahwirkung zux Aufrollung dex geſamten Ruſſenlinie na< Südoſten hin führen mußte. Abex ès war Sache der Truppe, aus dieſem Erfolge etwas zu machen, ihn zu dem zu geſtalten, was ex in Wirklichkeit wurde. Dieſe Truppe Tam zum Teil aus dem Stellungskrieg des Oſtens, zum Teil

aus anſtrengenden und aufreibenden Kämpfen. Sie war

Eiſenbahnfahrten gewohnt und Shüßengrabentrieg und kam hier in einen Bewegungskrieg, ſür den weder beim Mann

noh Offizier die geringſte Schulung in den legten Monaten

vorlag. És waren Tagesleiſtungen von 15, 20 und 30 Kilometern in glutvoller Julihiße zu überwinden, dabei \{<werer Nachhutwidexrſtand des Feindes zu brechen. Und troßdem wurden nit nux alle von der Führung befohlenen Marſchziele erreiht, ſondern ſie wurden mitunter überſchritten. Der Schwung des exſten Angrifſs pflanzte ſi<h von der

Üeinen Einbruhſtelle in breitem Strom na<h Süden fort und exrgrif\ die gegen 300 Kilometer breite Rüczugsfront |

der Ruſſen. Wenn man hört, daß in zehn Tagen rüdſihts-

loſeſten Vorwärtsdrängens bei bayriſhen Truppen ein

Regiment kaum 40 Marſchkranke hatte, ſo beſagt dieſe

Ziffer genug für den Geiſt und den Drang der Truppe. Und wenn man weiß, daß die Kolönnen und Trains aht

und zehn Tage hintereinander 40 und 50 Kilometer be=

erſten Räumungsvorbereitungen in dem vom Kampf nos vôllig unberührten Czernowiß getroffen wurden. Die

Verantwortung für das ruſſiſ<he Mißgeſhi> der Truppe

Und ihrer Diſgiplinloſigkeit zuzuweiſen, iſt eine Fälſhung

der Tatſachen. Dieſe Jnfantexrie hat ſih, wo ſie ſih zum

Kampf ſtellte, kräftig und zäh gewehrt. Wir wollen alſo

ehrlich ſein und dem Gegner geben, was ihm gebührt, denn

es ehrt unſere Truppe um ſo mehr, wenn ſie niht fliehenden _Geiglingen gegenüber einen Sieg erſtritt, ſondern einem

ordentlihen Gegner die Palme abrang.

Vexrpſlegungsmarerial, an Zügen und Laſtautokolonnen;, an Helmen, Gewehren, Munition und Geſhüßen wie auh an

Gefangenen eine anſehnlihe Beute gemacht, abex ſie hält

ſih, wenn man den großen Frontraum der Operation

überbli, do< in beſcheidenen Grenzen. Der Ruſſe hat große Munitions- und Verpflegungslagex, die ihm niht

mehr zurüzuſchaffen möglih wax, dur<h Sprengung und

Brand vernichtet, um ſie niht in Feindeshand fallen zu

laſſen. Aber er hat ſein Heer, ſeine Artillerie und ſeine Trains ſozuſagen ungerupft zurü>bekommen, wenn man

von den zum Teil gewaltig hohen blutigen Verluſten abſieht.

Exzellenz v. Lißmann überſchreitet die neugeſ<lagene Brücke über den Dnjeſtr.

wüältigten, ohne nennenswert viel Pferde einzubüßen, ſo

wird man au< dies gebührend würdigen. Jnfolge der Sprengung aller Brü>en und Stege dur die Ruſſen (ſiehe die Vilder Seite 223) blieb das zur Verfügung ſtehende Bahnneß für die ganze Offenſive tageweit hinter der Truppe zurü>. Alles mußte dur<h Pſerde- und Autokolonnen vor[hen Truppen glänzend. : Das gleiche Iläßt ſih vom ruſſiſ<hen Heere wohl niht beaupten. Der ruſſiſche Heeresberiht hat ſih in jenen Wochen

geſchafft werden. Troßdem war die Stimmung dex deut-

fs viel Shmähungen der eigenen Truppen geleiſtet, daß eine

eine Ehrenrettung des Gegners am Plate iſt. Die Truppe ander Durhbruchsfront wurde durh die Gewalt des Artilleriefeuers und den hinreißenden Shwung des deutſchen Jnfanterieangriffs ſicherlih überwältigt, entnervt und in die Flucht geriſſen. Das wirkte auf die Seitenabſhnitte und dauerte die erſte Zeit, vielleicht drei Tage, an. Dann aber faßte ſih der Ruſſe ſchnell, und das, was wir an Widerſtand um Tarnopol und darüber hinaus erlebten, wie aü< der Halt, den uns ruſſiſche Truppen um Czernowitz boten, verdienen alle Anerkennung. Wenn die breite ruſſiſche Front wankte und zurü> mußte, ſo war das eine ſichere Nachwirkung unſeres Durhbruhs und vom ruſſiſhen Frontſoldaten vielleicht gar niht aufzuhalten. Die Führung ſelbſt . gab ja den Befehl zum Rüczug und erkannte die Lage \o ar, daß ſhon zwei Tage nah dem Angriff bei Zborow die

Es verträgt ſi von dieſem Urteil über den ruſſiſchen “_Rüclzug manches niht mit den Ausſagen der ruſſiſhen

Gefangenen. Da wird immer wieder von Diſziplinloſigfeit

und Meuteref? erzählt, und es iſt ſicher, daß ſolhe Fälle

H vorkamen (ſiehe Bild Seite 221), daß Truppen Ver= ammlungen abhielten, ob ſie einen Angriffsbefehl auh aus=führen ſollen, daß andere Verbände beratſ<lagten, ob ſie angegriffenen Nebenabſ<hnitten zu Hilfe kommen ſollten. Aber das hatdie Geſamtleiſtung des Heeres niht allzu ſehr berührt. Es iſt doh bemerkenswert, wie Perſönlichkeiten wie Ke-

rensïfi, Bruſſilow, Krnilow allmählich ſih dur<hſeßten und

‘die Führung ſtraffer anzogen. Der ruſſiſche Soldat, dem es an dex Bildung und dem Einzelwiſſen des deutſhen Mannes völlig fehlt, braucht ſolche aſiatiſh-deſpotiſhen Autoritäten, und ex folgt ihnen bedingungslos in Sieg und Niederlage.

Es kann feinem Zweifel unterliegen, daß die Friedensliebe

im ruſſiſhen Heex außerordentlihen Umfang angenommen

hat. Wenn die Leute untex ſich ſind, ſo erklären ſie immer wieder: Wir wollen den Frieden, wollen nux Ruhe und wieder unſere Arbeit. Sie haben auch das dumpfe Gefühl, daß nah dem Anfangsrauſh von Freiheit und Gleichheit die alten Zeiten langſam unter neuer Fahne wiederkehren. Die Bedeutung der Soldaténabgeordneten, die eine Zeitlang

die Offiziere völlig an die Wand drückten und Alleinherrſchexr

waren, ſank immer mehr; unter dem Einfluß der höchſten

Führung bekamen auh die Zwiſchen- und Unterführer

Der ruſſiſhe Rüczug als Ganzes betrahtet , iſt ohne _ Zweifel auh eine beahtenswerte Leiſtung. Wir haben an

Plot. Bufa,