Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

. .. Um jene Spanne spielen mit der Erde ungeheure, den Geist weiter hervor- und abstoßende, die Erde also mehr und mehr vermenschlichende Schicksalsschläge. Die Kälte nördlicher Länder wächst. Die Tundra, der Eisgürtel an den Polen, rückt langsam weiter voran, die Erde wieder mit neuer Eiszeit bedrohend. Dennoch werden mehr und mehr Menschenmassen aus den Sonnenländern hinausgezwungen in eine unangepaßte todumdrohte Natur. So tritt vollends Bewußtsein und seine raumzeitliche Wirklichkeit aus dem Elemente heraus. In allen Menschensprachen kommen um 500 die ersten scharf zwischen Geist und Seele unterscheidenden Begriffe auf; denn nun erst wird dieser wichtigste aller Gegensätze klar erspürt. Logik und Etik werden aufgefunden. Die ersten modernen Großstädte sammeln naturübermächtigende Werktümer und naturerset-. zende Gewerbe. Uralte Geheimlehre der Griechen erklärt den Sonnengott Apollo als den Geistgott («-ro%), den Einen ; welcher herausgehoben wird aus den unermeßlich Vielen, denn von nun an wird zum Ziel: aufzuerbauen das eine Reich des einen Geistes, welches hochgetragen wird von Myriaden über die Erde wandernden Seelen, das Reich Jehovas, welches Wort alte Erklärer herleiten aus den drei chinesischen Geheimworten Ji (Garblos); Hi (tonlos); Wei (körperlos).

Um diese Zeit vollzog sich die entscheidende Wende. Im Morgenlande durch den Buddha. Im Abendlande durch Sokrates und seine Schüler. — Sokrates, dieser erste aus Leidenstiefen der Verknechtung aufgestiegene Titan, hauchte und ballte seine Wort- und Begrifiswolken wider die bildfrohe Götterwelt des homerischen Olymp, führte die Sache der in Stadt und Markt gekäfigten Menschheit gegen Satyr und Sylphe und begründete jene lebenübermächtigenden Wissenschaften vom Sollen, die wir heute Logik nennen und Etik. Damit erblühte die abendländische Wissenschaft, der Sklavenaufstand des Geistes. Alles Sichtbare wurde unglaubwürdig. Etwas bloß Gedachtes trat an seine Stelle. Dem Elemente entstieg die gewußte Wirklichkeit rechnerischen Übermächtigungswillens. Im Morgenlande um die selbe Zeit erscheint Buddha.

Schon die älteste aller Schöpfungsmyten, der herrliche Hymnus des Rigveda äußerte den wunderlichen Zweifel, ob wohl Manas (der Geist) aus sich herausgestoßen habe Kama (das Leben) oder ob umgekehrt Kama aus sich hervorquellen lasse den Manas. Er wirft also die Frage auf: Was hat den

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