Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

_ geistig-sittlichen, ebenso gestaltenreichen als streng einheitlichen Religion, innerhalb deren der letzte unvermeidliche Rest des unlösbaren Zwiespaltes zwischen den Dämonen und dem Geiste einzige fortwirkt in dem dauernden Schwanken ob Tschu oder Ko, Ahnenkult oder Gehorsam gegen Obrigkeit der höhere Wert sei....

Schinto, (zu Deutsch: Götterweg, im Gegensatz zu Buddhas lebenaufhebendem Erlösungsweg).ist ein Bund der Menschen mit zehn Millionen in Bildsäulen verehrten Landesgöttern, über -welche alle herrscht das Sonmenfeuer, als das Bild des bereinigenden Geistes, dessen Hüter der Mikado ist, während der Schogun die weltlichen Geschäfte zu leiten hat. —

Nun ist aber die ganze Entwicklung Japans darauf ausgegangen, das Weltliche vor dem Religiösen, den etischen Gehalt vor dem metaphysischen, das Sittengesetz vor dem Mytos zu bevorzugen und da beide sich so zu einander verhalten wie in den Seelen der immer fortschreitende. Intellekt zu dem immer beharrendem Gefühl, (woraus in weitaus den meisten Menschen der Bruch zwischen Trieb und Einsicht entsteht), so ist in Japan das völkische Etos, die Wissenschaft und die Gelehrigkeit fanatisch gesteigert auf Kosten der rückwärts blickenden Lebensgefühle, so daß vorauszusehen ist, daß Japans Harmonie von kurzer Dauer sein wird und daß von diesem unmusikalisch-rationalem Volke — (zu tatenwillig und geweckt für Musik, gleich den Engländern!) die Vergeistigung und Versittlichung des Ostens ausgehen, aber auch die noch ungeweckte Traumwelt einfältiger Menschheit zerstört werden wird.

Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir dem Japaner die schlechthin verfeinerteste Gefühlssittlichkeit, überhaupt aber mehr FHochsinn als Tiefisinn zusprechen. Nur wenige Beispiele mögen diese der abendländischen weit überlegene Gewissensieinheit bezeugen. Zunächst der Mangel jedes ‚schlechten Gewissens‘ in Bezug auf Geschlechtliches.

In Europa leidet die eine Hälite der Jugend an Ausschweifung, die andere an erzwungener Keuschheit. In Amerika herrscht die unausstehlichste Weiberanbetung und in weiten Kreisen kalter Tugendstolz. Japan aber ist (von den widerwärtigen Erscheinungen der Hafenstädte abgesehen) das kindliche Paradies des Geschiechtslebens. Vor allem dadurch, daß dieses noch nicht wie im Abendlande ‚eine Sache für sich‘ ward, d. h. ins Bewußtsein gedrängt und von den anderen Formen des