Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

192 - ; ; : sophen leider keine anderen Gestaltungsmittel als Begriffe und Worte.

Uns aber unterscheidet von bloßen Rechthabern und Schulfüchsen, daß die Begriffe und Worte uns dienen ; daß wir sie besitzen ohne von ihnen besessen zu sein. Und sie dienen gleich den Frauen am liebsten dem Manne, der sie kennt und durch- schaut. Wir wissen, sie tragen Masken. Wir zwingen sie, sich vor uns zu entschleiern. Wir rufen sie an: „Entkleide Dich Maske! Du bist nicht das Leben. Lebendiges ist heute schon anders als es gestern war. Lebendiges hat kein Gestern und Heut. Lebendiges lebt milliardenfach reicher und zarter als unsre, selbst im Dienste der größten Gedankenbaumeister un- säglich plumpe, starre und hülflose menschliche Begrifis- und Gedankenkunst. Entkleide Dich, Maske!“ .

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Noch ein zweiter Irrtum soll im Vorübergehen an dieser ‚Stelle kurz belichtet werden. Er betrifft den im deutschen Schrifttum allverbreiteten Begriff des Gotischen, Faustischen, Arischen, Germanischen, Deutschen. Es ist längst zu einer Zeitkrankheit geworden, daß in Deutschland alle diese Worte gebraucht werden, als wären sie gleichsinnig.

Daß die gotische Kunst- und Lebensform nicht deutsch ist hat schon Goethe lernen müssen, dessen Jugendirrtum die; gotische Baukunst als die deutsche bezeichnete. Die Worte: gotisch und romanisch haben in der Kunstgeschichte viel Verwirrung gestiftet. Zweifellos ist die romanisch genannte Kunst die deutschere. Das Auge kann sehn, daß die älteren Bauformen: die breiten Flächen, die massigen Vierungstürme, die Giebeldreiecke, welche erinnern an den Griechentempel nicht minder wie an das niedersächsische Bauernhaus der deutschen Landschaft urtümlicher zu eigen sind als alle gotischen Wunder. Daß die deutsche Reformation statt die älteren Formen jortzuentwickeln an die lateinische Gotik anknüpite, war eine ihrer vielen Halbheiten. e

Ob die Sprache der alten Germanen, von welcher uns nichts bekannt ist, aus der gotischen stamme oder nur der gotischen verwandt war, ob sie unter einen Hut gebracht werden könne mit der Sprache der Veden, (was Lessing und Schopen. hauer kräftig bestritten), das bleibe hier dahingestellt. Sicher ist jedenfalls: daß Gebet, Glaubensleben, Frömmigkeit der alten Germanen, deren Beten ein Beiehlen war, (wodurch im Auf-