Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

| u roB. Wortgespenster.

Vorbemerkung:

Eine kleine Schar immer wiederholter Worte, Worte wie: Positiv, Anschauung, Erfahrung, Tat, Wissenschaft, Vaterland, Familie, Ehe. usw. vertritt in der begriffefrohen Bildungswelt Das, was einst sinnefrohe Naturkinder genannt haben: das Tabu. — Tabu ist das Unantastbare. Wenn man mehrere hundert Jahre lang bestimmte Worte gebraucht nie ohne Wertbetonung, wenn sie seschlechterlang sich vergesellten mit schönen Hochgefühlen, dann wandelten sie sich zuletzt in weltgestaltende Götter. Die Welt des Abendlandes wird beherrscht von diesen Göttern. Und wie Knaben ihren Drachen bunte Papiere anbinden, damit der Wind die Lappen hochtrage, so pilest Europas Mensch sich an Begriffe zu binden, um sich selber hochtragen zu lassen vom Winde der Worte. Sie reden von Anschauung, wenn sie Begrifismatematik treiben. Sie reden von Leben und denken an Energetik. Sie reden von Heiligkeit der Ehe und morden Liebe. Sie reden von Würde der Familie und bemänteln eine Hölle. Sie sagen Vaterland und rauben: Heimat.

Indeß .... Ich will aus dem europäischem Wortgespensterreigen nur fünf Masken greifen. Ich will sie zwingen, sich zu entschleiern. Ich wähle die folgenden; Fortschritt. Geschichtliche Notwendigkeit. Leben. Optimismus. Entwicklung. j

a) Fortschritt! ‚Grosser Dünkel und allgemeine Begriffe

sind immer auf dem Wege, das grösste Unheil in der Welt anzurichfen‘.

Goethe.

Was machen Sie? (how do you do?) grüßen einander die Menschen aui den Straßen. Sie sind offenbar davon überzeugt, daß immer etwas gemacht werden müsse.

Das Lebensgefühl kaukasischer Bildungsmenschen ist eingewurzelt in den Glauben, daß ein ungewisses Glückseligkeitsendziel Schritt für Schritt durch den europäisch-amerikanischen Menschen verwirklicht werde.

Daher geschieht es denn, daß jedem, der dazu verflucht ist, inmitten dieses allgemeinen Tüchtigkeits- und Glückseligkeitsbetriebes als erkennendes Wesen sich am toten Gestein zu vergeuden, Tag und Nacht und das ganze Leben entlang, Fragen um die Ohren schwirren, wie diese: ‚Ja was nützt Das Alles?‘ ‚Hat denn Das einen Zweck?‘ ‚Kann man damit verdienen?‘ ‚Kann man davon-leben?‘ ‚Läßt sich damit Etwas machen?‘ ‚Ist die Welt schon davon anders geworden?‘

Kurz und gut: man betrachtet jede Weltschau von vornherein unter dem Gesichtspunkte des Wertes. Leidensminderung und Leidensvertilgung ist Europas geistiges Apriori.