Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

mit Fortschritt, Entwicklung, Sittlichkeit und Humanität versorgen, wenn keine Gefahr dabei besteht, beim Verkauf von Sittlichkeit, beim Handel mit Menschlichkeit erwischt und standrechtlich erschossen zu werden.

All dieser Fortschrittsglaube ist die unvermeidliche Lebenswaiie des Menschen, jedes Menschen, so weit er in ne - Lebensgruppe eingestellt, deren Belange bew ahren muß, sich selber bewahren zu können.

Aber ein tiefer Gegensatz klafit auf. Das Morgenland atmet und träumt im wesenhait Wandellosem, darin der Mensch und seine vermeintliche Geschichte zeitlos eingesenkt ruhen. Wir dagegen im Abendlande sind vermessen genug, auch das hinter der Wirklichkeitswelt Wesende als einen ‚historischen Prozeß‘ und somit eigentlich als zeitlich vorzustellen. Wir nennen es mit Worten, welche Tätigkeit und somit Wandel, Ziel und Sinn in sich schließen, als das Spiegelbild unsrer eigenen rastlos arbeitenden und immer auf Zwecke hinstrebenden Lebendigkeit. Selbst Schopenhauer und Spinoza, die beiden beschaulichsten Denker Europas, sehen im Weltwesen weniger das zeitlos übergeschichtliche Sein, als ein zeitlich, also geschichtlich wirkendes Lebendigsein ....

Diese Staats- und Geschichtsmetaphysik sehn wir gegenwärtig im großen europäischem Kriege ausgewachsen zu einem die ganze Erde bedrohendem Widerdämon. Mit wahrem Entsetzen erleben wirs, daß die selben Menschen, welche alle dieses geschichtliche Elend machen, (dadurch daß sie nicht widerstreben), indem sie das Elend heraufbeschwören, dieses ihr Verbrechen metaphysisch, philosophisch, religiös und dichterisch zu rechtfertigen unternehmen, als ihre Demut vor absoluter Vernunit oder vor einer Vernunft des Absoluten.

Hinknieen müßte ein Jeder und die besudelte Erde küssend, bekennen: Jeder von Uns ist schuldig an Jedem, Ich aber bin der schuldigste unter allen! Was aber geschieht?

Jeder sucht sich selber entlastend, die Schuld abzuschieben auf....da worauf? — Auf: den Genius der Geschichte; auf: das Gesetz des notwendigen Wachstumszwanges; auf: den vermeintlichen Wachstumsaustrag vermeintlicher Völkerorganismen; auf irgend eine metaphysische Einblendung oder Unterstellung; bis es allen diesen Sophismen gelungen ist, den Willen Gottes, den absoluten Geschichtsprozeß oder den Ge-