Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

180 will das an einem Vergleiche klar machen, der sich dem Leser einprägen möge.

Eine im Morgenland gewachsene starke Theeblüte wird in Europa zu Thee verkocht. — Das Paulinische Christentum ist der erste, stärkste und. kräftigste Theeaufguß. Das Reformationszeitalter: der abgeschwächte verwässerte zweite. Die moderne Wissenschaft und ihre Sektenbildungen (wie Monismus, Pragmatismus, Agnostizismus, Fiktionalismus, Kritizismus usw.) sind der letzte und schaalste Theeauiguß jener alten Blume aus Assam.

Dem durch allzu nahe Nähe beiangenem Auge scheint es freilich so, als ob katolisches, puritanisches und positivistisches Zeitalter einander völlig blutiremd und unverwandt gegenüberstehen. Aber das Auge der Nachwelt, welches nur noch die großen klaren Linien erkennen wird, wird einst sehen, daß es sich handelt um drei einander den Rang ablaufende und eben darum einander feindliche Einkleidungen des selben Geistes. Dieser Geist aber war der Geist des Abendlandes.

Deutlich hervor tritt an dieser Entwicklung des katolischen zum protestantischen, .des protestantischen zum wissenschaftlichen Zeitalter: eine allmähliche Vernüchterung. Immer matter wird der Duft der Theeblume, das heißt ihr kosmisch metaphysisches Leben. Immer reichlicher der abendländische Wasseraufguß, das heißt die menschliche Logik und Etik. — Ohne Bild gesprochen: In der Entwicklung des Christentums tritt mehr und mehr hervor der historisirende, durchaus zeitlich menschliche Gedanke eines im Werden begrifienen Gottes; eines Gottes, welcher der Stofiwelt innewohnend, dank der Mitarbeit des Menschen, sich der Zeitlichkeit fortschreitend entbindet.

Die Gestalt des Gottesdienstes im Abendland, zumal die Liturgie, gibt ein Bild dieser fortschreitenden Etisirung. Die Sprache des stummen Lebens, der brennenden Lichte, der Blumen, der Musik, der Engel und Heiligenbilde, der Stimmen vom Chor, der Orgel, der Weihrauchdüfte, der liturgischen Geheimnisse und großen Symbole tritt immer mehr zurück zu gunsten des verstandesmäßig deutenden Wortes. Der Lettner, welcher Priester- und Laienkirche trennt, mußte fallen. Nicht der Altar, die Kanzel beherrscht nun den Raum. Und die Messe wird (um eine Bezeichnung des Erasmus zu brauchen) ‚exhortativ-allokutorisch'‘.