Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

2 179 2 schlossen sich an: Voltaires ‚Versuch über die Sitten‘ (1756) und die lange stolze Reihe der Bossuet, Duclos, Volney und Condorcet, welche Reihe zuletzt gipfelte in August Comtes ebenso düritigem als selbstgerechtem Drei-Stufen-Gesetz (1847), wonach die ganze Geschichte der Menschheit sein soll ein Fortschreiten von der mytologischen zur metaphysischen und schließlich zur positivistisch-wissenschaftlichen Weltaullassung: jede Stufe die vorhergehende ‚überwindend‘’ und zu größerer Vervollkommnung der Erde hinanläuternd.

In Deutschland haben zwei bedeutende Werke den Wahn dieser einreihig fortschreitenden Menschwerdung der Erde unverrückbar verfestigt: Lessings ‚Erziehung des Menschengeschlechts‘ (1780). und Herders ‚Ideen zur Geschichte der Menschheit‘ (1784).

In England wurde der Menschheitsfortschritts- und Entwicklungsglaube begründet durch Darwins ‚Entstehung der Arten‘ (1859), Spencers ‚System der syntetischen Philosophie‘ (1860), Buckles ‚Geschichte der Civilisation‘ (1860) und Leckys ‚Geschichte des Geistes der Aufklärung‘ (1865). —

Es ist nun eine viel Irrsinn und Wirrsinn stiftende Tatsache, daß diese Geschichtswissenschaft und ihre Leitmotive: Progressismus, Evolutionismus und Hominismus durchweg aufgetreten sind als Über winder einer vermeintlich mittelalterlich-christlichen Weltverfinsterung und als Heraufbringer einer neuen freieren Zeit. Daher vermochten nur Wenige klar zu durchschauen, daß es sich bei dieser Entwicklungswissenschaft in Wahrheit nur handele um ein Dogma ‚und zwar um ganz dasselbe Dogma, welches auch schon der Wesenskern des mittelalterlichen Christentums gewesen war. — Man kann ruhig behaupten, das selbst die freiesten Geister, ja sogar jene, die nicht nur gegen Christentum, sondern gegen jegliche religiöse Lebensauffassung aufzutreten wähnten, daß Geister wie Voltaire und Nietzsche, durchaus Kinder des christlichen Mytos blieben. Sie hätten auf keinem anderen Boden entstehen und verstanden werden können, als einzig auf dem Boden unsres christlichen Abendlandes.

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Wir erleben somit auf der westlichen Erdhälfte die Maskerade eines als Fortschritts- und Entwicklungs-wissenschaft verkleideten Glaubensbedürfnisses. Ich

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