Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

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Ist es nicht noch heute, als wenn sämtliche Menschen in der einen großen Angst lebten, daß doch eines Tages ihre schrecklich gemißbrauchte Seele das dunkle Auge aufschlagen und daß dieses dunkle Auge iragen könne: Verlorenes armes Menschenkind, was ist denn nun der Nutzen von all Deinem Nutzen?

Buddha bezeichnet gelegentlich die Weltverneinung, den Lebensüberdruß, den Weltschmerz als die ins Negative überseschlagene sinnliche Begierde (vibhava-tanhä). Diese aber wird ausdrücklich von ihm verworfen. (Vinaya 1, 10 Samyutta V p 421). — Der Gegenstand der Buddhalehre wie überhaupt der asiatischen Philosophie ist ausschließlich das Wissen um die Vergänglichkeit alles Nichtwesenhaften. Das ist keine ‚Stimmung‘. Das ist die klare Erkenntniß der zweiiellosesten Tatsache.

Ganz ebenso steht es um allen vermeintlichen ‚Pessimismus‘ der europäischen Welterkenntniß (ganz gleichgültig, wie die persönliche Seelenveriassung unsrer Philosophen sei). Philosophischer Pessimismus ist keine Laune genialischen Be‚liebens. Er ist das sachliche Spiegelbild der Menschenwelt, woiern man sie durch das Auge eines Ideales sieht.

Es ist uns freilich unbenommen dieses Auge abzulegen. Man kann gleich dem Veda, gleich den großen Mystikern, gleich Laötse, gleich Spinoza, gleich allen, ‚welche nicht weinen, nicht lachen, sondern nur schauen‘ iedes Wertungsziel, jede Wertungsnorm überhaupt ablehnen.

Das ist zwar kein menschlicher Standpunkt; aber ein kosmischer, von dem aus sämtliches Dasein und Sosein vollkommen gleichwertig und gleichgültig wird. — Man kann aber niemals (Nietzsches Zarathustra hat das der Welt bewiesen!) Werte verkünden und Wertziele aufbaun auf der Hinnahme der Unveränderlichkeit oder ewigen Wiederkehr alles Vorhandenen. Bejahen heißt auch Verneinen! Wertreligionen wie Wertphilosopheme (mithin auch das folgerichtige Christentum) sind ohne weiteres ‚pessimistisch. Man kann nicht logisch-etisch urteilen, ohne damit Gegebenes zu vernichten zu gunsten eines Seinsollenden und Aufgegebenen. Vielleicht hat das Leben keinerlei Ziel. Hat es aber ‚Ziel‘, dann kann dieses Ziel nur negativ sein.