Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.
I. Das Zeitalter der franzöſiſchen Revolution. SIE
hatte ja in den legten Jahren eine Politik mit ſeinem Namen de>en müſſen, die ſeinen Anſichten nicht ganz entſprach. Dennoch ließ Kai=ſer Franz den treuen Berater in drei wechſelvollen Epochen ungern ziehen; Kauni ſollte ſeine bisherige Amtswohnung und ſeine Einfünfte beibehalten und ſelbſt im Ruheſtande ſtets von allen Gea ſchehniſſen unterrichtet werden. Kaum zwei Jahre nach ſeiner Entlaſſung verſchied der Staatskanzler, der ſih mit allen Faſern da= ſeinsfroh ans Leben geklammert hatte. Der „Kutſcher Europas““ ſtarb an Entkräftung 1).
Sein Nachfolger wurde Graf Philipp Cobenzl, der ſchon ſeit geraumer Heit den Titel eines „Geheimen Staats-Vizekanzlers““ führte und dem Fürſten Kaunigz als erſter Gehilfe zur Seite ſtand. Als öſterreichiſher Verwaltungsbeamter in Belgien hatte Cobenzl ſeine dienſtliche Laufbahn begonnen; dann war er in Wien berufen, das Zollweſen zu reformieren. Durch einen Zufall wurde er der Vertreter Öſterreichs bei den Friedensverhandlungen in Teſchen, wo er fich die Dankbarkeit Maria Thereſias und Foſefs TI. erwarb. Von da ab ſchlug er glückbegünſtigt die diplomatiſche Karriere ein. Graf Philipp Cobenzl war kein Staatsmann von großem Zuſchnitte, aber gewiß nicht einer der ſhle<teſten Männer. Dienſteifrig und gewiſ=ſenhaft oblag er ſeinen Geſchäften, für die er als Junggeſelle vor allem lebte. Er ſcheint niht ohne Geiſt geweſen zu ſein, wenngleih dieſer Vorzug in ſeinen kurzen Memoiren nicht zur Geltung kommt. Doch ohne perſönliche Bedeutung wäre er ſicherlich niht der ver4 traute Freund Kaiſer Joſefs geworden, hätte er nicht im Kreiſe fenntnisreiher Damen wohlgelitten ſein können. Dies um ſo weniger, als ihm ein Sprachfehler die Konverſation erſhwerte 1).
Langſam hatten ſich die Heere der zwei verbündeten Monarchen in Bewegung geſeßt; im Auguſt 1792 betrat die preußiſche Armee franzöſiſchen Boden. Mit Begeiſterung für die Sache zog man nicht ins Feld und das Mißtrauen, das bald zwiſchen den Öſterreicherw und Preußen wach wurde, lähmte die Bewegungen. Man konnte ſich nicht leicht an den Gedanken gewöhnen, daß die Feinde in ſo vielen Kämpfen nun Freunde ſein ſollten; die Erinnerungen an die Vergangenheit ſtörten bei der Erfüllung der neuen Pflichten. Zuerſt freilich gab es einzelne Siege und der Feldzug in der Cham=pagne ſchien ſich günſtig zu geſtalten. Da trat die Schikſal8wende
1) Allgemeine Deutſche Biographie, Band 15. (Kauni von Arneth.)
2) Ritter von Arneth. Graf Philipp Cobenzl und ſeine Memoiren. Wien 1885, ;