Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

tere Kußstellung (Mathilde IV, 9) über, nur daß hier die Lustbefriedigung durch das Fehlen des materiellen Fluidums auf einen Umweg gedrängt wird und sich leicht mit der halb unlustvoll gefärbten Komponente des Schmachtens verbindet (Rich. Tauber XIV, 2). Sehr nahe kommt oft der süße Zug des Mundes der Kußstellung bei jungen, blühenden Frauen (Brink X, 3), wenn auch in der Ruhestellung naturgemäß der Mund etwas breiter sein muß (Greta Garbo in „Wilde Orchideen“ X, 1, trotz der Schminke), besonders wenn sich der an sich breitere, feinschmeckerische Zug damit vermischt (van Eyck X, 7): der Tonus, die Spannungstendenz bleibt doch immer da; und in der Ruhestellung der Physiognomie sind ja die meisten ÄAusdrucksspannungen auf ihren Tonus reduziert und an diesem allein erkennbar. Sogar an Heiligenbildern ist in sublimierter Form die süße Kußstellung oft nicht zu übersehen, besonders im Dienste verzückter Marienerotik (Heil. Barbara auf dem Bilde der Sixtinischen Madonna, Tafel V); von den einwärtsschmelzenden süßen Lippen der Vergine von Luini (IV, 6) wurde schon gesprochen. — In Karikaturen des Küssens wird umgekehrt oft der Vorbereitungsakt der Saugstellung, das rüsselförmige Vorstrecken der Lippen betont (Hr. und Fr.- Knopp Fig. 33).

Der prüfende Zug des Mundes (Tabelle 16)

Personen, die etwas nachdenklich prüfen, stülpen oft die Lippen rüsselförmig vor, als wollten sie sich damit des Gegenstands bemächtigen (Der Bedenkliche Fig. 34). Wir erkennen darin das vorbereitende Ausstrecken beim Saugen. Danach ist die Prüfbewegung zunächst neutral, ohne Gefühlston, die Lippenflächen sind daher nicht zum Kontakt ausgestülpt, sondern zur Bemächtigung eher etwas eingezogen wie eben beim Saugen. Es wurde ja schon von einer besonderen Bemächtigungsfunktion der Lippen bei den

192