Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

6. Die Atmungseinstellungen des Mundes

Zwei besonders auffällige Ausdrucksformen von Affekten, eines freudigen und eines traurigen, die beide in ihren höheren Graden nicht nur mit geöffnetem Munde, sondern auch stoßweise intermittierenden, geräuschvollen Atembewegungen einhergehen, sind noch zu betrachten. Sie werden auch allgemein für unser Verständnis des Ausdrucks fruchtbar werden: das Lachen und das Weinen (Fig. 38 und 39).

DasLachen (Fig. 38, 39, Tabelle 22)

Man weiß von den Micky-Maus-Filmen her, daß der Zeichner jedes beliebige Tier zum Lachen bringen kann. Unser Bild XVI, 9 aber zeigt, und zwar in einer zweifelsfreien Naturaufnahme, einen unstreitig lachenden Affen. Und warum lacht er? Weil er sich freut? Jeder Tierwärter wird das entschieden verneinen. Der Affe lacht, weil er böse ist und sich nicht zu helfen weiß; der ohnmächtige Zorn entlädt sich auf diese Weise. Wir dürfen also hier unser menschliches Ausdrucksalphabet nicht so ohneweiteres anwenden. Schon eher menschlich ist der Ausdruck des Hundes, der auf eine eigentümliche Art die Lefzen an den Mundwinkeln heraufzieht und ein Grinsen zustande bringt, das tatsächlich die Bedeutung einer offenen Zuwendung, hier also eines Lächelns hat. Aber auch da werden Zähne entblößt, gleichsam wie zum Angriff, und es wird kein Gebrauch von ihnen gemacht. Eine Angriffshemmung liegt hier wie dort vor und vielleicht kann uns dies Gemeinsame auf die richtige Spur der Deutung des Lachens überhaupt führen.

Wir haben uns ja schon einmal, bei den Mundwinkelspannungen, mit der Lachstellung beschäftigt und sie als eine Lockerung des Angriffskontakts, der eigentlich bei der Seitwärtsstellung im Fletschen gegeben ist, geschildert. Wenn

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