Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

auf kürzestem Wege zu erreichen. Um also den Mundwinkel dauernd in seiner seitlichen Lage niederzuhalten, ist eine ständige Anspannung des Dreiecks- und auch des Lach-, aber viel weniger des Jochbeinmuskels nötig (vgl. den Rachsüchtigen XVI, 6). Beim Lachen also, bei der Lähmung des Angriffs, müssen nicht nur die Kaumuskeln, es muß auch der Dreiecksmuskel gelähmt sein und das empfindet dieser zum ewigen Abwärtsziehen gezwungene Muskel als Erlösung, ähnlich wie ein Kind die Krankheit, die es vom Schulbesuch befreit. Wir sehen, daß beim Lachen tatsächlich eine doppelte Entspannung stattfindet, und zwar erstens die des mundverkleinernden Lippenmuskels, zweitens des den Mundwinkel herabziehenden Dreiecksmuskels.

Rekonstruieren wir auf Grund dieser Betrachtungen die Situation des Lachens, etwa beim Kitzeln. Auch hier ein Überraschungsschock, der uns zuerst in eine sogenannte Notfallssituation versetzt. Wir machen uns kampfbereit, schöpfen tief Atem, denn diesen braucht der Kämpfer, dem wenig Atempausen gegönnt sein werden, und sperren den Mund zum Gegenangriff auf. Ist der Schock nun ein derartiger, daß nicht nur die Kaumuskeln, sondern auch der Dreiecksmuskel momentan gelähmt wird — dies ist also eine rein physiologische Bedingung, die beim Kitzeln offenbar erfüllt ist—, dann geht der Mundwinkel in die Höhe, was wir als lustvolle Entspannung empfinden. Wir fühlen uns in der wehrlosen Lage wohl, weil wir uns nicht nach gewohnter Weise anstrengen müssen, und das Einzige, was wir mit der in der Notfallsfunktion bereitgestellten Energie anfangen können, ist, sie zugleich mit dem eingeschöpften Luftüberschuß, der nun überflüssig geworden ist, abzugeben. Dadurch wird das Ausatmen zum Handlungs-, zum Angriffsersatz, aber auch er wird von der allgemeinen Hemmung betroffen und das Ausatmen geht nur in geräuschvollen, aber lustaffektgeladenen Stößen vor sich. Dies ist das Lachen, die ent-

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