Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

Eine charakteristische Gruppe, die des Suggestivkontakts, bilden Physiognomien mit abgedeckten Augen und -lächelnder Zuwendung des Mundes (Chevalier XIV, 4; Zwei junge Herzen XI, 3; Baldwin XIV, 5; Strotter XVI, 5); der aufrichtige Lächelkontakt nämlich hat weitgeöffnete Augen (Frau Montessori IV, 8), da er gefühlsbetont ist. Der Suggestivkontakt kann Sex appeal andeuten (Chevalier, Zwei Junge Herzen), aber auch Berechnung (Baldwin); hier wird dem Partner zugelächelt, um sein Vertrauen zu gewinnen; dabei aber wird er scharf im Auge behalten, als wolle man hypnotisch auf ihn einwirken,

Gerade umgekehrt verhält es sich bei der anderen Gruppe mit offenen Augen und irgendwie abgedecktem Mund. Sie weist gute und bedeutende Charaktere auf mit umfassendem Kontakt der Augen, der nicht am Einzelinteresse haftet, und großer Selbstbeherrschung ohne Maskierung. Die Physiognomie Goethes laßt sich hier einreihen (II, 1-5). Hier wird das Obergesicht, das Ideen und vergeistigtes Gefühl ausdrückt, zur beherrschenden Partie, in deren Dienst der Mund sich stellt (ogl. auch Adolf Loos IX, 4; Frau Montessori IV, 8; Michaela IV, 2).

Die Mannigfaltigkeit dieser Beispiele ließe sich beliebig vermehren. Sie lehren vor allem, daß, wo wir eine gemischte Einstellung sehen, das Schwergewicht in der Regel bei dem Organ mit der offenen Einstellung liegt; wo die abgedeckten und verhängten Züge nicht das ganze Bild beherrschen, stehen sie gewöhnlich im Dienst der offenen. Es gibt also eine selbständige und eine unselbständige Einstellung eines Organs.

2. Starke Spannungsgegensätze

Oft haben wir beim ersten Blick auf eine Physiognomie den Eindruck, daß etwas Problematisches in ihr liegt. Geht man der Sache auf den Grund, so sind es übertriebene Span-

227