Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

unsteten, ausweichenden Blick. Der Kautonus ist mächtig, aber nicht imstande, den Weg zu überbrücken bis zum Spannungszentrum des relativ nicht breiten, ebenfalls in der Profildimension, wenn auch mehr nach der Trotz- und Verachtungsstellung ausgestatteten Mundes; dessen Schiefgestelltheit bestätigt die Inkoordiniertheit der beiden Gesichtshälften. Seine Aggression bezeugt er durch die Seitenstellung der Mundwinkel, allein sie vermögen die spannungsarme Wange nicht zur Fletschfurche aufzuwölben, obwohl man diese bei dem Gewaltmenschen viel eher erwarten würde als bei dem sanften Schubert. Durch diesen in manchen Zügen auf kindlicher Stufe zurückgebliebenen Mund und das Auseinanderfallen der Spannungszentren kommt etwas Puppenhaft Gelähmtes in die Physiognomie und abermals verkörpert sich der Widerspruch in dem hier allerdings toten und starren Mundwinkel.

Wir sehen, daß die Spannungsverteilung auf der Physiognomie ein Relief mit Spannungsgipfeln und Lähmungstälern bildet, und daß die Spannung in ganz bestimmten Punkten zentriert ist; von diesen aus ergreift sie das umgebende Terrain und pflanzt sich fort, bis sie auf die Ausläufer anderer Spannungszentren stößt, mit denen sie sich entweder verstärkt oder unter Umständen auch auslöscht, ähnlich wie bei der Überlagerung zweier Wellenzüge.

3. Die Tiefenschichtung des Ausdrucks

Es war eine unsrer ersten Entdeckungen, daß der Ausdruck in mehreren Schichten übereinander gelagert ist. Der Rassenausdruck, der konstitutionelle Ausdruck bilden einen oft deutlich sichtbaren Unterbau des eigentlich individuellen Ausdrucks. Auch in diesem gibt es viele konstante Züge, die in ihrer Gesamtheit eben die Physiognomie ausmachen, welche ihrerseits noch überlagert ist vom Ausdruck der momentanen Seelenhaltung. Es ist uns aber bereits durch zahl-

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