Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen
licher Lebensstrom des Kulturkontakts die ganze Menschheit. Auch der Mensch, der sich ‚seelisch völlig isolieren wollte, müßte zugrunde gehen. Glücklich der, der an diesem Lebensstrom geboren ist, unglücklich, wer abseits von ihm steht! Wen nun gar eine Ahnung davon befällt, daß es der Kontakt ist, der ihm da fehlt, und daß die Zeichen, die die Menschen in ihren Zügen tragen, Kontaktzeichen sind, die sich einmal auf’ jenen Lebensstrom öffnen könnten, der hat die.physiognomische Ruhestellung wohl auf eine Zeitlang verloren. Daß er sie verloren hat, das wird ihm der Spiegel zeigen, der zur Analyse der eigenen Züge und des eigenen Charakters führt. Er macht sich auf die Suche, und nicht eher, als bis er die Menschen gefunden hat, die er lieben, mit denen er leben und arbeiten kann und die ihm selber als Repräsentanten der ganzen Menschheit dienen können, kommt sein Expansionsdrang zur Ruhe, ist er wieder ein Ganzes geworden. Somit können wir den ganzen Charakter in unsrem Sinne erklären als einen, der im Normalkontakt mit dem Lebensstrom, dem Inbegriff der in ihre Elemente differenzierten menschlichen Charaktere, die physiognomische Ruhestellung bezieht. Er liest jene Charakterelemente in den Ausdruckselementen, und da im letzten Grunde eine schöpferische Wechselwirkung daraus wird, begreifen wir, warum nur ein solcher ganzer, vielseitiger Charakter die beste Gabe haben wird, sich in seine Nebenmenschen einzufühlen und sie zu verstehen.
Dort am Strome angesiedelt sein, dort empfinden, dort handeln können, das befriedigt alle unsre ungebrochenen Urtriebe. Und auf einmal wird die Signalfunktion der menschlichen Physiognomie noch interessanter als ihre Ausdrucksfunktion. Wir greifen an die fremden Masken, und auch sie verlieren die Ruhestellung, wie ein Film werden sie aufgerollt, und nicht aus armer Neugier heftet sich das Auge auf immer neue, vielmehr aus der Angst, die dem
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