Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

der kahlen Felſenſpißen jeden Ausgang abzuſperren. |

Der Putſch in Bulgarien war alſo vorläufig ;

als verunglüt zu betrachten. Fedoch bereiteten

ſich während der nächſten Wintermonate beide Parteien, die „Altbulgaren“ ſowohl, wie die bulgariſche Omladina für den nächſten Frühling rüſtig vor.

Die árgſten Yedrücker des Donauvolkes.

Die neueſte Zeit hat uns über Länder Entde>ungen gebraht, wie man ſie ſonſt nur aus den verſchollenen Gegenden Aſiens zu hören gewohnt war. Unter dieſe zählt man auh mit Recht diejenigen, welhe von den Bulgaren handeln, dieſem an fünf Millionen ſtarken, lange faſt verſhollen geweſenen Donauvolke, welches jeßt, ſeit einem halben Menſchenalter, mit vollem Nationalbewußtſein wieder auf die politiſche Vorderbühne trat. Und die Urſache ? Weil jene Tage vorüber ſind, wo unter der fluhbede>ten Bezeihnung des „weidenden Viehs“ (Rajah) die ganze den Türken zins- und dienſtbare <riſtliche Völker-Geſammtheit der Balkan -Halbinſel für die diplomatiſhe Welt kaum exiſtirte, weil dieſe „Heerde“ heute Menſch geworden und einen höchſt wichtigen Mitrechner bei den großen Fragen der Gegenwart bildet.

Wex immer den Gang der Ereigniſſe auf dem Boden der europäiſchen Türkei aufmerkſam verfolgt, der muß die bedeutungsvolle Rolle in Erwägung ziehen, welhe den Bulgaren zufällt, die zwar zwiſchen den Türken, Griechen, Albaneſen, Serben und Rumänen eingekeilt ſind, an Zahl jedoh eine jede dieſer Nationalitäten überragen. Es ſpannt ſie auh bereits das neue Schienennetz größtentheils über bulgariſhes Land, es haben die Bulgaren beinahe den ganzen unteren Donauhandel in der Hand und gelten als vortreffliche A>erbauer, Gewerbsleute und Bautechniker, überhaupt als ein fleißiges, ſparſames und bildungsluſtiges Volk. Es iſt ſomit gere<tfertigt, wenn wir uns damit etwas eingehender beſchäftigen.

Die Bulgaren ſind finniſh-uraliſchen (rufſiſh-aſiatiſhen) Urſprunges, kamen als verheerende Horde von der Wolga (daher ihr Name), überzogen die ſlaviſhen Donauländer mit Krieg und gründeten im ſiebenten Fahrhundert unter Aſparuch ihr Reih auf ſlaviſhem Unterbau. Entgegen den gewöhnlichen hiſtoriſ<hen Naturgeſeßen, wurden ſie jedo< bald von den unterworfenen Slaven überſchichtet und, gingen endlich, ohne au nur ein Schriftdenkmal ihrer StammesMundart zurü>zula}ſen, in dieſem Elemente völlig auf. Fhre Krale (Fürſten) und Czare (Kaiſer) wurden zu verſchiedenen Zeiten dem kaiſerlichen Byzanz (Conſtantinopel, als es no< griechiſ{< war) furchtbar, und erreihten mit der Beſiß-

nahme des Theißquellen-Gebietes den Gipfel ihrer Macht. So treten denn die Königsnamen eines Krum, Mihail Boris, Simeon und Samuel leuchtend aus der Tiefe dieſer ſtreitbaren Vergangenheit hervor.

Als aber der Halbmond bereits auf Byzanz? Tempeln aufgepflanzt war, als Ba jazid, genannt der „Bli“, über den europäiſchen Oſten hereinfuhr, da ging auh das alte Czarenreich zu Grunde und dex bulgariſhe Herrſcherſiß zu Preslaw fiel in Trümmer, Es vergaßen die ſpäteren Geſchlechter, daß es einſt freie Bulgaren gegeben hatte, und die Geſchichte der Osmaniden ſchritt über ein todtes Volk mehr mit verhängnißgläubiger Unerbittlichkeit hinweg.

Aber dies war nux ein Scheintod, denn ‘nah vier Jahrhunderten, als die famoſe türkiſche „Charte“ (Verfaſſungs-Urkunde) verkündet wurde, gab auch das in der Donau-Bulgarei verſchollene Volk ein Lebenszeichen von ſi<h gegen den Verderber des Leibes, den Osmanli (Urtürken), und kaum fühlte es ſi< materiell etwas geſtärkt, fo begann es voll Lebensfähigkeit und Luſt den Kampf ſeiner geiſtigen Wiedergeburt gegen ihre geiſtigen Verderber, gegen den ſogenannten „Fanar“ (Leuchte), dem uralten Brutneſte politiſher Umtriebe.

Ju jenem ſtillen, zwiſchen dem fünften Hügel und dem Goldenen Horn gelegenen Viertel, welches den Namen Fanar führt, iſt nämli<h mehr an der allgemeinen Geiſtesverſinſterung der Rajah und dem Ruin der Türken gearbeitet worden, als ſi< Uneingeweihte denken können. Da wurden die loben3wertheſten civiliſatoriſhen Anwandlungen der türkiſhen Regierung entweder ſhon im Keime erſti>t, oder doh wenigſtens in ihrer wohlthätigen Wirkungsfähigkeit ſo viel als möglich abgeſchwächt. Die Harems-Sultane fanden zu allen Zeiten im „Fanar“ Gold und hielten ihn für ihre beſte Sparbüchſe. Dergeſtalt entmannten die Beſiegten den Sieger, indem ſie die Reihs3- und Serailfoſten zu Zeiten auf ihre Re<hnung nahmen, und lenkten dur< die goldene Fntrigue die osmaniſche Staatsgaleere.

Wie der Türke davon denfït, erhellt aus ſeinem Sprichworte: „Jm Fauar kauft man die Eide fo billig wie Waſſermelonen“. Freilih dürfte dann dieſer Artikel dort der einzige billige fein,